Die Toten der Villa Triste
wünschten uns wegen eines Kunden zu sprechen? Eines Signor Trantemento?«
»Ja«, sagte Pallioti. »Ja, das stimmt. Wie Sie sich wahrscheinlich schon gedacht haben, stellen wir wegen seines Todes Ermittlungen an.«
Severino Cavicallis knappe Verbeugung ließ keinen Rückschluss darauf zu, ob er Giovanni Trantementos Tod für besonders bedauerlich hielt oder nicht.
»Dann«, sagte er und deutete auf eine Tür, die er gleich darauf aufzog, »werden Sie sich in unserem Hinterzimmer vielleicht wohler fühlen.«
Das Hinterzimmer war groß und fensterlos und wurde fast ganz von einem riesigen Tisch ausgefüllt. Im Gegensatz zum Verkaufsraum war es hell erleuchtet.
»Hin und wieder«, erläuterte Signor Cavicalli, während er Pallioti hineinbegleitete, »veranstalten wir Privatverkäufe und Auktionen. Bitte sehr. Ich gehe gleich meinen Vater holen. Er hat Signor Trantemento immer bedient, müssen Sie wissen. Er allein.«
Er ließ die Tür offen. Pallioti hörte Stufen knarren, als er zur Wohnung über dem Laden hinaufstieg.
Der alte Mann, der gleich darauf den Raum betrat, war kaum mehr als ein Schatten. Er wirkte nicht nur äußerst zerbrechlich, sondern so leicht, dass er beinahe über den Boden zu schweben schien. Er trug eine Fliege, dazu ein Tweedjackett, dunkle Hosen und grüne Samtschlappen. Das Gesicht sah aus wie das seines Sohnes, nur dass bei ihm das Haarbüschel über der fast faltenlosen Stirn schneeweiß war.
Sein Händedruck war sanft. Aber sein Blick war scharf und seine Stimme kräftiger, als sein Äußeres vermuten ließ.
»Ein Besuch der Polizei. Ich fühle mich geehrt.«
»Verzeihen Sie, dass wir Ihre Zeit in Anspruch nehmen müssen.« Pallioti trat an den Stuhl, der ihm angeboten wurde. »Aber ich hatte gehofft, dass Sie mir etwas über Giovanni Trantemento erzählen könnten.«
Der Alte nickte. Sein Sohn hatte ihn ans Kopfende des Tischs gesetzt, wo, wie Pallioti vermutete, sein Stammplatz war.
»Und was genau«, fragte er, »hatten Sie gehofft, dass ich Ihnen erzählen könnte?«
»Nun, ich versuche, so viel wie möglich über seine Zeit bei den Partisanen zu erfahren. Waren Sie auch Mitglied der GAP oder …«
Bevor der Alte darauf antworten konnte, sagte sein Sohn: »Mein Vater war nicht bei den Partisanen, Dottore. Meine Familie ist jüdisch. Sie kehrte erst in den Fünfzigerjahren nach Florenz zurück.«
»Wir verdanken ihnen unser Leben.«
Severino Cavicallis Vater blickte ruhig in Palliotis Gesicht.
»Ich würde sagen«, führte er dann aus, »dass wir zu den Gesegneten gehörten. Aber ehrlich gesagt hatte Gott nur wenig damit zu tun – schließlich haben uns damals die Partisanen außer Landes gebracht. Dieses Geschäft«, erklärte er, »ist meine ganze Leidenschaft. Meine Art, ihnen zu danken. Die Flamme weiterzutragen, wenn Sie so wollen. Aber nein, ich habe nicht zu ihnen gehört. Über Signor Trantemento weiß ich nur das, was in den Zeitungen zu lesen war, nachdem er seinen Orden verliehen bekommen hatte.«
»Er hat also nie mit Ihnen über den Krieg gesprochen? Oder über seine Erlebnisse? Er sprach nicht darüber, wenn er bei Ihnen einkaufte?«
Der alte Mann schwenkte die Hand leicht hin und her. »Rein beruflich«, sagte er, »habe ich natürlich mit Signor Trantemento über den Krieg gesprochen. Schließlich kam er deswegen zu uns. Aber persönlich nicht. Er war ein Kunde, Dottore.«
Pallioti hörte den stummen Nachsatz: Aber kein Freund . Er wartete kurz ab, ob der alte Herr ihn aussprechen würde, aber die Worte blieben aus. Schließlich fragte er: »Warum? Warum kam Giovanni Trantemento zu Ihnen, Signor Cavicalli?«
Die grünen Augen glitzerten im hellen Deckenlicht.
»Weil ich Spezialist bin.«
»Und was er suchte, war so speziell?«
Signor Cavicalli nickte. »Ganz recht.«
»Und was war das?«
Die Hände schwankten wieder hin und her und landeten dann mit gespreizten Fingern auf der Tischplatte. Im ersten Moment dachte Pallioti, der alte Herr würde sich gleich aus dem Stuhl stemmen und höflich, aber entschieden erklären, dass er diese Frage nicht beantworten konnte oder wollte. Aber er hatte sich getäuscht. Stattdessen sah ihn Signor Cavicalli offen an.
»Signor Trantemento«, eröffnete er ihm, »interessierte sich genau für zwei Themen. Wie gesagt, sehr spezielle Themen.«
Pallioti spürte die Stille im Raum, tief und beständig, so, als hätte sie zahllose Jahre überdauert.
»Und welche? Was für Themen waren das?«
»Den Februar 1944 und
Weitere Kostenlose Bücher