Die Toten der Villa Triste
unterzeichnete ich mit einem Kreuz. Dann faltete ich das Papier zusammen, klebte den Umschlag zu und legte mich aufs Bett, wo ich an meinen Ring dachte, der in ein Öltuch gewickelt tief im gefrorenen Boden ruht.
Ich vertraute den Brief Issa an, die mir versprach, dass er Lodovico erreichen würde. Bis dahin waren drei Tage vergangen, denn ich bekam sie kaum noch zu Gesicht. Manchmal verstrich eine ganze Woche, während derer wir in der Wohnung ein und aus gingen, ohne uns zu begegnen. Wir entdeckten nur Spuren der anderen – einen abgewaschenen Teller, eine Tasse im Spülbecken, den Abdruck eines Kopfes auf dem Kissen –, fast als würden wir beide mit einem Gespenst zusammenwohnen.
Für Issa war jene Zeit besonders schwierig. Wenige Wochen zuvor hatte der britische General Alexander eine Direktive an die Partisanen herausgegeben, in der er ihnen vorschrieb, wie sie sich zu verhalten und wann sie zu handeln hatten. Keiner von ihnen hatte vor, diese Anweisungen zu beachten, doch die Erkenntnis, dass man ihnen nicht traute, trug nicht dazu bei, die Moral zu stärken. Doch am meisten, glaube ich, setzte ihr zu, dass sie nicht mehr in die Berge gehen konnte. Dort fühlte sie sich stets lebendiger als irgendwo sonst. Und dort war sie auch Carlo näher. Falls sie seinen Geist jemals finden würde, dann auf den hohen Pässen, auf den abgetretenen Stufen und den uralten Steinen der Via degli Dei, des Wegs der Götter. Und, zeterte sie, sie wurde gebraucht. Umgekehrt zu früher wurden die abgeschossenen Piloten nun nach Süden durch die Gotenlinie geschmuggelt und bei den Alliierten abgeliefert. Immer wieder hörte man von Zwischenfällen, von Führern, die nicht wussten, was sie taten, während Issa zurückgelassen wurde, obwohl sie dieses Gebirge so gut kannte, dass sie es angeblich blind durchqueren konnte.
Doch so schwanger, wie sie war, konnte sie unmöglich durch Schnee und Eis klettern. Außerdem war sie als Kurier unersetzlich. Je runder ihr Bauch wurde, desto weniger wahrscheinlich war es, dass jemand sie aufhielt oder verhörte, und folglich wurden die ihr anvertrauten Informationen immer bedeutsamer. Das immerhin spendete ihr etwas Trost. Bologna, Ferrara, Ravenna, Modena, Piacenza, selbst Genua und Turin – sie reiste kreuz und quer durchs Land. Jeder wusste, dass im Frühjahr die letzte Schlacht bevorstand; schon wurden Pläne entworfen, die Issa von einem CLN-Kommando zum nächsten transportierte. Mit dem Kind in ihrem Bauch. Jedes Mal, wenn ich sie sah, kam mir ihr Bauch größer vor. Manchmal trat das ungeborene Kind so fest zu, dass sie nach Luft schnappen musste und überrascht die blauen Augen aufriss.
Während uns die Alliierten aus der Luft bombardierten, wurde in den Straßen ein ganz anderer Kampf ausgefochten. Mario Carita hatte sich in Padua, nicht in Mailand festgesetzt, aber er hatte Gesinnungsgenossen hier, und ich wage zu behaupten, dass er sie nicht nur hier hatte. Im Krankenhaus sahen wir die Folgen ihrer Taten. Tagsüber behandelten wir die Damen der Gesellschaft, die aufrechten faschistischen Matronen Mailands. Nach Einbruch der Nacht wechselten die Patienten. Jede Nacht kamen drei, manchmal vier von ihnen. Angeschossen, blutend, mit gebrochenen Gliedern oder Kiefern. Manchmal war ich so müde, dass ich mich kaum noch nach Hause schleppen konnte. Dass Weihnachten war, merkte ich erst, als mir jemand auf der Straße mit einem dünnen Lächeln Buon Natale wünschte.
Als ich an jenem Heiligabend nach Hause kam, war von Issa nichts zu sehen. Ich entdeckte nicht die kleinste Spur von ihr, und als ich das Licht einschaltete, stockte mir im ersten Augenblick das Herz vor Angst – ich war überzeugt, dass schließlich das eingetroffen war, was ich immer befürchtet hatte, was, wie ich mich beinahe überzeugt hatte, eines Tages geschehen musste. Sie war erwischt und verhaftet worden, ausgespäht von den Abwehr-Spionen, von deren Existenz wir gehört haben – Italienern, die für die Deutschen arbeiten, die aussehen und reden wie wir, die sich unerkannt und tödlich wie ein Virus unter uns bewegen. Oder sie war getötet worden, eine Bombe der Alliierten hatte sie zerfetzt. Oder eines der Maschinengewehre hatte sie erfasst, die alles niedermähen, was sich auf der Straße bewegt, die blindlings aus dem Himmel feuern, in der irrigen Hoffnung, dass die Niedergemetzelten Feinde sein mögen.
Ich setzte mich an den Küchentisch, und Angst und Müdigkeit überspülten mich in ebenjener Woge, die
Weitere Kostenlose Bücher