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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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offiziell.«
    »Und inoffiziell?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Dann wäre das genauso eingetragen worden wie hier – dass sie auf einen Transport gebracht wurden.«
    »Um jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben, wenn sie am anderen Ende nicht ausstiegen?«
    Sie nickte. »So ungefähr. Gleichzeitig hätte man die Jagd auf sie eröffnet. Und sie getötet. Da war man ganz pflichtbewusst. Oft über jedes vernünftige Maß hinaus. Flüchtlinge waren nicht nur der Moral abträglich, die Nazis fühlten sich auch persönlich beleidigt. Abgesehen davon, dass es gegen ihre Ordnung verstieß.« Sie deutete auf die korrekt ausgefüllte Seite auf dem Bildschirm. »Den Nazis und den italienischen Faschisten war unter anderem eine tiefe Abneigung gegen alle losen Fäden gemein.«
    Pallioti dachte darüber nach. Dann fragte er: »Können Sie das nachprüfen? Könnten Sie überprüfen, ob diese Namen irgendwo noch einmal auftauchen? Ob, sagen wir, jemand nach dem Krieg nach ihnen gesucht hat oder ob sie irgendwo anders in Ihren Datenbanken erwähnt werden?«
    Sie nickte. »Natürlich.«
    Signora Grandolo spannte kurz die Finger an und hackte dann eine Reihe von Befehlen in die Tastatur. Der Bildschirm wechselte und wechselte gleich noch einmal. Sie betrachtete ihn, runzelte die Stirn und tippte den nächsten Befehl ein. Wieder änderte sich das Bild. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
    »Nein«, sagte sie. »So, wie es aussieht, gibt es in unseren Datenbanken keine weiteren Einträge mit diesen Namen. Keinen einzigen. Nur diesen hier.«
    Sie probierte noch mehr Befehle durch und schüttelte dann wieder den Kopf. Ihre Hände kamen zur Ruhe. Auf dem Bildschirm waren wieder die eingescannten Unterlagen aus der Villa Triste über die zweite Februarwoche 1944 zu sehen. Die Namen waren deutlich auf der korrekt ausgefüllten Seite zu erkennen. Giancarlo Menucci. Piero Balestro. Giovanni Rossi.
    Signora Grandolo sah Pallioti an. »Und Sie sind sicher, dass das die Männer sind, nach denen Sie suchen, Dottore?«
    Pallioti starrte auf den Computer. Vor seinem inneren Auge sah er die vereiste Straße, den Kohlenkarren, zwei Männer mit kohlenstaubschwarzen Gesichtern. Er sah die elegante deutsche Limousine um die Ecke biegen und langsam ausrollen. Er hörte das Klackern der Absätze, das straffe Salutieren, das Aufziehen der Türen, die Salve von Schüssen. Er hörte die Frau flüchten und einen scharfen Knall, kurz bevor sie zu Boden stürzte. Hörte Signor Cavicallis Stimme, spürte wieder die federleichte Hand in seiner. Den Schusswechsel vor dem Pergola-Theater und alles, absolut alles, was mit Radio Julia zu tun hatte.
    Signora Grandolo saß reglos neben ihm. Sie verschränkte die Hände auf der Schreibtischplatte und sah darauf nieder. »Wissen Sie«, sagte sie schließlich, »ich habe bei meiner Arbeit festgestellt, dass die größte Gefahr darin besteht, Dinge zu sehen, die ich sehen will.«
    Im Lampenschein des Raums wirkten ihre Augen so dunkel, dass sie ihm fast schwarz erschienen.
    »Es kommt inzwischen kaum noch vor«, sagte sie leise. »Ehrlich gesagt fehlt es an Gelegenheiten. Aber als ich mit dieser Arbeit anfing, wollte ich um jeden Preis helfen. Ich wollte wenigstens eine Spur des verschwundenen Vaters, der Mutter, der Tochter oder des Ehemanns finden. Sagen können: ›Ja, sie waren hier.‹ Selbst wenn es bedeutete, dass sie tot waren. Weil das den Menschen wenigstens einen gewissen Trost gab. Etwas, an dem sie sich festhalten konnten, selbst wenn alles andere in Trümmern lag. Sie bekamen ihr Leben zurück, sie wurden befreit – weil sie endlich wussten, was passiert war. Nichts zu wissen«, ergänzte sie, »ist eine ganz eigene Art von Gefängnis.« Sie lächelte. »Natürlich«, sagte sie, »erzähle ich Ihnen damit nichts, was Sie nicht längst wüssten. Aber ich glaube, wir sind uns da ähnlich, Sie und ich, Dottore, verstehen Sie? Wir wollen den Menschen einen Schlüssel in die Hand geben. Die Riegel zurückschieben. Die Macht haben, dieses Gefängnis zu öffnen. Bestimmt würde die Kirche uns warnen, dass dies von monströser Überheblichkeit zeugt – diese Weigerung, sich mit einem ›Ich weiß es nicht‹ abzufinden.«
    Sie löste ihre Hände, senkte den Blick auf ihren schlichten Ehering und den schmalen Verlobungsring direkt darüber, den einzigen Schmuck, den sie trug.
    »Mein Mann«, sagte sie nach kurzem Nachdenken. »Cosimo. Er war ein weiser Mann. Klein. Ziemlich hässlich. Still. Aber

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