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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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er ließ sich von niemandem etwas vormachen.« Signora Grandolo sah wieder auf. Sie stellte sich seinem Blick. »Er warnte mich damals«, erzählte sie, »vor vielen Jahren, als ich mit dieser Arbeit begann. Er sagte, wenn ich Verbindungen sehen würde, wo es keine gab, könnte ich mehr Unheil anrichten als Gutes tun.«
    Pallioti hörte eine Uhr ticken und hinter den schweren Vorhängen das Trommeln des Regens gegen die Fensterscheiben.
    »Natürlich«, gestand Signora Grandolo, »habe ich nicht immer auf ihn gehört.«
    »Und haben Sie das bereut?«
    Sie überlegte kurz und zog dann die Schultern hoch. »Meistens«, sagte sie. Dann lächelte sie und fügte an: »Aber nicht immer. Sagen wir, in neun von zehn Fällen.«
    Pallioti fuhr sich mit der Hand über die Augen. Die Müdigkeit, die ihn in letzter Zeit immer öfter plagte, hatte sich wieder eingeschlichen, auf Zehenspitzen wie ein bettelndes Kind, das ihn jetzt am Ärmel zupfte. Sie flüsterte ihm zu, dass er nichts gegessen hatte, dass Enzo kurz davor stand, den Fall zu lösen, dass er Besseres zu tun hatte. Pallioti warf dem Lumpenkind einen Krumen zu, indem er zugab, dass es wahrscheinlich recht hatte – und machte diesen großzügigen Akt sofort zunichte, indem er sich dachte, dass ihn das nicht interessierte.
    »Verraten Sie mir noch etwas«, bat er. »Wie viel wissen Sie über die GAP?«
    »Die Gruppi di Azione Patriottica ?« Sie lächelte wieder. »Heutzutage würde man sie wohl als terroristische Organisation bezeichnen. Die Roten Brigaden hatten sie sich zum Vorbild genommen, müssen Sie wissen.«
    Das hatte Pallioti nicht gewusst. Aber wenn er recht darüber nachdachte, überraschte es ihn nicht. »Im Lauf der Jahre haben Sie bestimmt viel über sie gehört, die GAP, meine ich?«
    »Certo« , bestätigte sie. »Natürlich. Viele der Partisanen, mit denen wir zu tun haben, waren damals dabei. Jedenfalls von denen, die in den Städten geblieben waren. Die Garibaldi-Brigaden waren eher auf dem Land aktiv, hauptsächlich oben in den Bergen. Auf das Konto der GAP gingen vor allem Sabotageakte, Attentate. Waffenschmuggel, Flugblätter. Und natürlich haben sie Menschen hinaus- und hereingeschafft. Juden. Kriegsgefangene. Entflohene Alliierte. Aber das machten alle Partisanen.«
    »Können Sie mir sagen …«, setzte Pallioti an. »Ich meine, wie viel wissen Sie über ihre Decknamen?«
    Sie sah ihn nachdenklich an und schüttelte dann den Kopf.
    »Nicht viel. Sie wurden ihnen verliehen, sobald sie der Organisation beitraten. Wie Sie bestimmt verstehen werden.«
    »Verliehen?«
    »O ja.« Signora Grandolo nickte. »Zumindest habe ich es so gehört. Man wählte seinen Namen nicht selbst aus, falls Sie sich das fragen. Oh«, schränkte sie ein, »ich nehme an, die berühmten Anführer haben es vielleicht doch getan, legendäre Gestalten wie Il Lupo. Aber das einfache Fußvolk bekam den Namen zugeteilt, soweit ich weiß. Man nahm einfach den erstbesten oder dachte sich einen aus.« Sie lächelte. »Viele Überlebende, mit denen ich gesprochen habe, waren nicht besonders glücklich über ihren Namen. Wühlmaus. Ziege.«
    »Warum haben sie das gemacht? Ihnen die Namen zugeteilt?«
    »Aus Sicherheitsgründen, nehme ich an«, antwortete die Signora. »Würden Sie das nicht auch annehmen?«
    »Die Befürchtung, dass man sich unbemerkt selbst verraten könnte, wenn man sich den Namen aussuchen durfte? Ja, wahrscheinlich.« Schließlich nutzten viele Menschen einen Teil ihrer Postleitzahl als PIN-Code.
    »Genau«, lächelte sie. »Die meisten Menschen sind nicht so schrecklich fantasievoll. Außerdem«, ergänzte sie und lachte, »mussten die Namen zugeteilt werden. Sonst hätte es in jeder Abteilung bestimmt sechzehn ›Wölfe‹, zwanzig ›Löwen‹ und fünfunddreißig ›Adler‹ gegeben. Was ziemlich verwirrend gewesen wäre.«
    Pallioti lachte ebenfalls. Sie hatte recht. »Eines noch«, sagte er schließlich. »Das zweite Datum. Würden Sie auch das für mich nachschauen? Wo ich schon einmal hier bin. Genauer gesagt handelt es sich um zwei Daten. Oder eher um alles, was zwischen dem zwölften und dem … sagen wir zwanzigsten Juni 1944 geschah.«
    Signora Grandolo, die bereits die Hände über der Tastatur erhoben hatte, senkte sie wieder.
    »Ach so«, sagte sie. »Radio Julia?«
    Er nickte.
    »Damit kann ich leider nicht dienen.«
    Pallioti sah sie an. Dass sie sich offen weigern würde, hatte er nicht erwartet. Doch bevor er fragen konnte, schüttelte sie den

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