Die Toten der Villa Triste
Macht zu zügeln.«
Ihre Fingerspitzen waren leicht wie die Flügel eines Schmetterlings.
Als sie die Hand zurückzog, blieb die Erinnerung an ihre Berührung auf seiner Haut zurück.
33. Kapitel
Pallioti trank seinen ersten Espresso am Morgen auf einen Zug aus und stellte die Tasse energisch ab. Es war Montag, eine neue Woche hatte angefangen, er hatte gut geschlafen und beim Aufwachen festgestellt, dass der Regen abgezogen und die Luft scharf und klar wie Kristall war.
Der Mann an der Bar zog eine Augenbraue hoch. Pallioti bestellte mit einem Nicken einen zweiten Kaffee und fasste gleichzeitig in die Jackentasche, in der sein Handy vibrierte wie eine eingesperrte Grille. Er sprach kurz mit Guillermo, der, von seiner neuen Mission getrieben, eine Stunde früher als alle anderen ins Büro gekommen war. Nachdem Pallioti die Aufgaben nach Dringlichkeit geordnet und Guillermo noch einmal eingeschärft hatte, dass er weder mit Enzo Saenz noch mit dem ermittelnden Richter oder, Gott behüte, dem Bürgermeister über ihre Nachforschungen sprechen durfte, falls Letzterer aus einem unerfindlichen Grund in Palliotis Büro auftauchen sollte, klappte er das Handy zu und bemühte sich, nicht an Don Quichotte und Sancho Pansa zu denken. Als er es in die Tasche gleiten ließ, stießen seine Finger auf ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Er zog es heraus und blickte auf die Nachricht, die ihm die Londoner Botschaft hinterlassen hatte und auf der die private Telefonnummer von Giovanni Trantementos Brieffreund Lord David Eppsy vermerkt war.
Pallioti strich das Blatt auf der Edelstahltheke glatt und kippte den zweiten Espresso hinunter, dann ließ er ein generöses Trinkgeld zurück und schob sich durch die Tür auf die Straße. Im nächsten Moment stand er auf dem Bürgersteig und hatte das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt, wie praktisch die halbe Stadtbevölkerung. Erst als er ein gurgelndes Rauschen und dann ein entferntes Tuten hörte, begann er sich zu fragen, wie spät es in Sri Lanka wohl sein mochte.
Bis David Eppsy das Gespräch angenommen hatte, hatte sich Pallioti bereits in eine Ecke einer kleinen Piazza zurückgezogen, abseits der Straße und vom Verkehrslärm abgewandt. Den Blick fest auf eine Reihe von Straßenkehrerkarren gerichtet, die an der Wand gegenüber parkten, entschuldigte er sich für die Störung und erklärte dann, wer er war. Wie sich herausstellte, brauchte er sich nicht nach dem Zeitunterschied zu erkundigen, weil Lord Eppsy von selbst darauf zu sprechen kam.
»Haha«, meinte er aufgeräumt und gar nicht müde. »Eine Stimme aus Florenz! Der Vergangenheit, im wörtlichen wie im zeitlichen Sinne! Hier ist es Abend, Inspektor. Und ich kann Ihnen versprechen, dass ein sehr schöner Tag vor Ihnen liegt.«
Pallioti fragte sich, was er wohl getrunken hatte. Wahrscheinlich Gin.
»Danke«, sagte er und kam dann zum Thema. »Ich rufe wegen eines Signor Giovanni Trantemento an. Ich nehme an, Sie kennen ihn?«
»O ja. O ja«, antwortete David Eppsy eilig. »Ich habe eine Nachricht bekommen. Darum habe ich mich auch bei Ihnen gemeldet. Nichts wirklich Erfreuliches, nehme ich an?«
Eher etwas ausgesprochen Unerfreuliches, war Pallioti versucht zu antworten. Aber er beschränkte sich auf die Aussage, dass der Mann gestorben sei.
»Ach. Ach du meine Güte. Wie traurig. Der arme alte Knabe. Das tut mir wirklich leid.«
David Eppsy war entweder ein brillanter Schauspieler oder tatsächlich überrascht und bestürzt über diese Neuigkeit. Pallioti wurde bewusst, dass der englische Lord abgesehen von Trantementos Schwester so ziemlich der einzige Mensch war, der sich wenigstens bemühte, so zu tun, als würde ihm die Nachricht von Giovanni Trantementos Tod nahegehen.
David Eppsy schluckte. Pallioti glaubte, Eiswürfel klirren zu hören.
»Er war«, verkündete Eppsy dann, »nun ja, ein Gentleman. Eine aussterbende Spezies. Selten wie ein bengalischer Tiger. Und selbstverständlich ein Connaisseur auf seinem Gebiet. Hoch angesehen. Ein äußerst angenehmer Geschäftspartner dazu. Er wird uns fehlen. Wirklich eine Schande. Solche Menschen sind heutzutage rar gesät«, bekundete David Eppsy. »Ein Gentleman der alten Schule. Ein seltenes Exemplar. Ich nehme an«, fragte er, »er hatte einen Herzanfall? Oder …«
»Leider nein.«
Offenbar hatte die italienische Botschaft David Eppsy lediglich gebeten, sich mit Pallioti in Verbindung zu setzen, und ihm ansonsten nichts weiter mitgeteilt. Was kein
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