Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
Vom Netzwerk:
Er hoffte, der Eigentümer von Patria Memorabilia würde ihm verzeihen, aber es war der erste Name, der ihm in den Sinn gekommen war.
    »Cara«, sagte sie. Sie betrachtete nachdenklich seine ausgestreckte Hand, bevor sie ihre ausstreckte. Ihre Hand steckte in einem roten Fäustling und sah aus wie eine dicke Tatze. »Cara Fratto. Ich putze da oben.« Sie nickte wieder zur Treppe hin. »Drei Tage die Woche, zweiundfünfzig Wochen im Jahr, Ostern eingeschlossen. Es sind Babys, sie können sich nicht mal ein Mittagessen kochen. Ich stelle ihnen das Essen hin und lege einen Zettel dazu, wie lange sie es in den Ofen schieben müssen. Nati con la camicia. « Die italienische Entsprechung für mit dem Silberlöffel im Mund geboren. Cara Fratto verdrehte die Augen. »Aber sie zahlen gut.«
    »Wissen Sie vielleicht«, fragte Pallioti, »wann Marta zurückkommen könnte?«
    Sie zuckte mit den Achseln, wie um zu sagen, vielleicht ja, vielleicht nein. Pallioti suchte nach einem neuen Ansatzpunkt.
    »Wissen Sie, wie lange sie schon weg ist?«
    Diesmal wurde das Achselzucken von einer Antwort begleitet.
    »Also, ich war die letzten drei Tage nicht hier, und dafür war jedenfalls ein Haufen Post da. Auf dem Boden verstreut. Was soll das? Können sich die Menschen nicht mehr bücken, nur weil sie studiert haben? Nicht nur das, sie gehen einfach an mir vorbei, wenn sie mir begegnen. Kein Wort des Dankes. Nichts.« Sie beugte sich vertraulich vor. »Warten Sie nur«, prophezeite sie ihm. »Warten Sie nur. Wenn Sie erst so alt sind wie ich, werden Sie auch unsichtbar. Puff!«
    Pallioti zuckte zusammen. Was Cara Fratto offenbar diebisch freute. Sie schenkte ihm ein Grinsen, bei dem sich Ziehharmonikafalten über ihr runzeliges Gesicht legten.
    Pallioti nickte. Und weil er das Gefühl hatte, dass sie damit eine Art Pakt geschlossen hatten, beschloss er, aufs Ganze zu gehen.
    »Na ja«, meinte er, »wahrscheinlich besucht Marta ihre Verwandten.«
    Cara schnaubte scharf. »Das wäre das erste Mal in zehn Jahren.« Sie hob die Einkaufstasche hoch. »Sie können nicht kochen«, sagte sie und ruckte wieder mit dem Kopf zur Treppe hin. »Aber dafür wissen sie alles, was sie nichts angeht. Und sie sagen, Marta hätte keine Verwandten. Außerdem sagen sie, dass ich das Zeug immer sofort in den Kühlschrank stecken muss, weil sonst der Spinat verwelkt, die Erbsen verfaulen und der Käse zu schwitzen anfängt. Und dann wird wahrscheinlich die Welt zugrunde gehen.«
    Sie wandte sich zum Lift um. Pallioti beobachtete, wie sie das Eisengitter aufzog und die Einkaufstasche auf den Boden der Kabine stellte. Dann drückte sie einen Knopf, schloss das Gitter wieder, trat zurück und schaute zu, wie sich das Räderwerk in Bewegung setzte. Sie nickte zufrieden und watschelte dann zur Treppe.
    »Wenn Sie sie finden, sagen Sie ihr, dass sie sich gefälligst um die Post kümmern soll«, erklärte sie ihm über die Schulter hinweg.
    Sie krallte sich am Geländer fest, seufzte, sah nach oben und begann, die Treppe zu ersteigen.
    Pallioti wartete ab, bis die kleine Gestalt dem Olymp entgegengestapft und aus seinem Blickfeld verschwunden war. Dann ging er still durch die Eingangshalle, hob den Papierkorb unter der Lampe an und leerte ihn auf den Posttisch.

    Eleanor Sachs war fast entschlossen, das Versprechen, das sie Pallioti gegeben hatte, zu brechen. Und zwar möglichst bald. Tatsächlich hatte sie mit dem Gedanken gespielt, einfach umzudrehen und noch am Samstagabend nach Siena zurückzufahren. Dann hatte sie es sich anders überlegt. Nicht, weil sie sich vor Pallioti fürchtete, sondern weil sie sich vor Piero Balestro fürchtete. Offen gesagt jagte ihr der Mann eine Heidenangst ein.
    Dessen ungeachtet war sie fest entschlossen, mit ihm zu reden, um herauszufinden, wer seine Kinder waren und ob deren Stiefvater vielleicht Faber geheißen hatte. Dennoch wollte sie ihm keine Vorwarnung geben, denn aus Balestros Sicht galt: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Oder in der Art. Kurz und gut, wenn sie zurückfahren würde, um den Minotaurus ins Kreuzverhör zu nehmen – denn genau daran erinnerte er sie, an einen wütenden alten Stier mit eiskalten Augen –, dann musste sie sich vorbereiten. Es wäre ausgesprochen nützlich, zuvor so viel wie möglich – oder überhaupt etwas – über ihn in Erfahrung zu bringen. Schließlich hatte selbst Theseus ein Garnknäuel ins Labyrinth mitgenommen.
    Infolgedessen hatte sie darauf verzichtet, die Reise schon am Sonntag

Weitere Kostenlose Bücher