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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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von bewundernswerter Selbsterkenntnis zeugte, aber nichts daran änderte, dass er, statt im Lupo zu sitzen und die Speisekarte zu studieren, lieber Piero Balestro Gottesfurcht eingebläut hätte, bevor die Mordwaffe noch in einem Fluss oder Teich oder Entwässerungsgraben oder weiß Gott wo landete.
    Wo sie wahrscheinlich längst lag. Wo sie wahrscheinlich wenige Stunden, wenn nicht Minuten nach ihrer Abfahrt versenkt worden war. Falls Balestro sie nicht bereits unten an den Ställen losgeworden war, als sie dort angekommen waren. Indem er sie auseinandergebaut und alle Einzelteile versteckt hatte. Sie sozusagen unter Pferdemist vergraben hatte.
    Pallioti seufzte und ließ die Speisekarte sinken. Selbst sein Freund, der Bürgermeister, war im Moment nicht sein Freund. Nachdem der ermittelnde Richter in einem Wutanfall bei ihm angerufen und Pallioti angeschwärzt hatte, indem er vom Bürgermeister wissen wollte, wieso dieser sich von Pallioti einen »perfekt gelösten Fall kaputt machen« lasse, hatte der Bürgermeister gleich wieder zum Telefon gegriffen und ein Donnerwetter auf Pallioti niedergehen lassen. Er hatte ihn gewarnt, seine neue Abteilung stehe unter scharfer Beobachtung, sein Budget sei keinesfalls in Stein gemeißelt, es gebe böse und düstere Mächte, die es gern sähen, wenn er und der Bürgermeister auf einen langen, sehr langen Urlaub gingen, und außerdem liebe jeder die alten Partisanen und keiner könne die Nazis leiden … Wo also liege das Problem?
    Pallioti massierte sich die Augen und redete sich ein, dass alles, was man ihm entgegenhielt, genauso nebensächlich war wie die Frage, was er aus der Speisekarte wählen sollte. Bernardo würde ihm sowieso bringen, was er für richtig hielt, und es würde so oder so köstlich schmecken. Genauso würden die Beweise gegen Piero Balestro für eine Anklage sprechen, wenn er nur geduldig weiterbohrte. Und nichts anderes hatte er den ganzen Tag getan. Guillermo war an den Schreibtisch zurückbeordert worden. Bales, Trantemento, Roberto Roblino – beziehungsweise Balestro, Rossi und Menucci, wer sie auch sein mochten –, Pallioti hatte befohlen, sie alle sowie jeden anderen, der Guillermo in den Sinn kam und der auch nur entfernt mit dem Fall zu tun hatte, noch einmal zu überprüfen und das Ergebnis gegenzuprüfen.
    Bislang waren sie trotz aller Bemühungen auf keinen roten Faden gestoßen. Trotzdem fühlte er sich besser. Und, wie Guillermo angemerkt hatte, er konnte es sich leisten, das Positive zu sehen. Immerhin hatte Piero Balestro damit keinen Grund mehr, noch jemanden zu töten. Falls er das Lämmchen beseitigen wollte, hätte er das schon vor Jahren tun können. Jetzt ging es allein darum, genug Beweise gegen den alten Bastard zu sammeln, bevor er tot umfiel.
    Mit diesem aufbauenden Gedanken griff Pallioti nach dem Glas, das Bernardo ihm gebracht hatte, und ermahnte sich, für ein paar Minuten der schönen Dinge im Leben zu gedenken, wozu auch gehörte, dass das Lupo am Sonntag geöffnet hatte.
    Das miserable Wetter garantierte, dass das Restaurant leer blieb, an den wenigen besetzten Tischen saßen Stammgäste, alte Kämpen, viele davon allein. Normalerweise war Pallioti nach den sonntäglichen Mittagessen abends noch satt oder sogar vollgefressen, weshalb er sonntags nur selten herkam. Jetzt, da er in seiner dunklen Ecke hockte, eingelullt von leisen Gesprächen und warmem Wein, achtete er kaum darauf, was sich an den anderen Tischen abspielte. Bernardo nahm die beleidigende Speisekarte wieder mit. Auf eine heiße Consommé folgten ein Kalbsschnitzel mit Pilzen und ein kleiner Teller Spinat. Eine Birne mit harten, weißen Pecorinoscheiben wurde aufgetragen. Pallioti hatte keine Ahnung, was für einen Wein er trank, und es war ihm auch egal. Er begnügte sich damit, ab und zu einen Schluck zu nehmen und die Ereignisse des Wochenendes in den Hintergrund treten zu lassen, bis sie sich wie ungebetene Gäste davonschlichen.
    »Dottore?«
    Pallioti sah auf.
    »Der hier wurde Ihnen spendiert.«
    Bernardo hielt ein Glas in einer Hand und in der anderen eine sündteure Flasche Grappa. Schlagartig verlegen, weil er damit rechnete, den Bürgermeister oder den Richter zu sehen, bei denen er sich womöglich entschuldigen musste, sah Pallioti sich um.
    »Von der Signora«, sagte Bernardo und stellte das Glas auf den Tisch.
    Pallioti sah an ihm vorbei.
    Signora Grandolo saß allein in der Ecke gegenüber. Sie hob die Hand. Es war eine leichte, elegante

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