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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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Gefieder auf, gurrten und stolzierten herum, bis sie schlagartig das Interesse verloren und davonflogen. Pallioti klappte das Handy wieder auf. Nach einem weiteren, kürzeren Anruf machte er kehrt und marschierte mit langen Schritten auf den Fluss zu.

    Es war erst neun Uhr; immer noch eilten die Menschen zur Arbeit. Ein Bus bog in die Straße ein, zwängte sich irgendwie um die Ecke und rumpelte über den Gehweg. Gerade als er weiterfuhr, flog die Tür des Hauses auf, in dem Giovanni Trantemento gewohnt hatte. Eine Frau kam herausgestürzt. Sie rannte ein paar Schritte in Richtung Bushaltestelle, blieb dann stehen und fluchte. Pallioti fing die schwere Haustür ab, bevor sie wieder zufallen konnte. Während er ins Haus schlüpfte, sah er die Frau auf die Fahrbahn treten. Kopfschüttelnd knöpfte sie den Mantel zu, querte die Straße zum Gehsteig gegenüber und machte sich auf den nun unvermeidlichen Marsch zum Büro.
    Pallioti wartete, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, und sah sich dann um. Er begriff, dass er erwartet hatte, die feste kleine Silhouette von Marta Buonifaccio an ihrem üblichen Standort neben dem großen Kamin stehen zu sehen. Aber sie war nicht da. Die Tür jenseits der riesigen Feuerstelle war geschlossen.
    Er wandte sich dem Käfig des winzigen Aufzugs zu. Die Tür stand offen, die sargähnliche Kabine wartete darauf, in Bewegung gesetzt zu werden. Er spielte kurz mit dem Gedanken und wandte sich dann zur Treppe um.
    Es war, als würde er aus einem tiefen Brunnen klettern. Das Gebäude wirkte mit jeder Stufe angenehmer. Auf jedem Treppenabsatz wurde es ein bisschen heller. Trotzdem konnte er erst, als er den Absatz oberhalb des dritten Stocks erreicht hatte, tatsächlich aus dem Fenster blicken. Und auch dann nur, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte. Er reckte den Kopf. Mehr als die nackte Wand des Palazzo auf der anderen Seite der Gasse und ein dünner Streifen Himmel war von hier aus nicht zu erkennen. Er streckte beide Hände nach oben und drückte gegen die bleigefassten Rauten der Scheibe. Der Rahmen rührte sich nicht. Einen Riegel konnte er auch nicht entdecken. Wie er vermutet hatte, war das Fenster zugeschweißt. Zufrieden kehrte er um und ging ins Erdgeschoss zurück.
    Er hatte viermal an die Tür auf der anderen Seite des Kamins geklopft, jedes Mal ein bisschen energischer, ohne dass sich etwas getan hätte, als er plötzlich eine Stimme in seinem Rücken hörte.
    »Das können Sie sich sparen.«
    Pallioti drehte sich um und erwartete, Martas gedrungene Figur zu sehen. Aber es war nicht Marta. Stattdessen war es eine andere alte Frau. »Die ist weg«, sagte sie.
    »Weg?«
    »Weg!«, schrie sie ihn an, als wäre er taub. Pallioti gab sich Mühe, nicht das Gesicht zu verziehen.
    »Wissen Sie, wohin?«, fragte er.
    »Nicht die leiseste Ahnung.« Sie fixierte ihn misstrauisch.
    Die Frau, die selbst auf Zehenspitzen höchstens bis an Palliotis Brust gereicht hätte, schwang die Einkaufstasche in ihrer Hand vor und zurück, als spielte sie mit dem Gedanken, sie als Waffe einzusetzen.
    »Eins sage ich Ihnen, das ist vielleicht eine Sauerei«, ergänzte sie. »Sie hätten die Post sehen sollen. Als ich ankam, lag alles auf dem Boden. Die da oben …«, sie nickte in Richtung der oberen Stockwerke, als thronten dort oben die Götter des Olymps, »… haben einen Anfall bekommen. Fragen Sie mich nicht, warum sie ihre Post nicht selbst holen können. Eine verfluchte Stunde habe ich damit zugebracht, alles zu sortieren. Chinesische Restaurants, Taxis …« Sie beugte sich vor und zischte zwischen den Zähnen hervor: »Und Liebesfilme.« Sie sah Pallioti wieder an und nickte. »Sie werfen einem alles in den Hausgang. Obwohl«, raunte sie dann, »ich mein Geld darauf verwetten würde, dass irgendwer im Haus schon mal solche Filme bestellt hat.« Sie nickte, als würde sie ihm jahrhundertealte Weisheiten eröffnen. »Die werfen ihre Werbezettel nur dort ein, wo auch Geschäft ist.«
    »Ja«, sagte Pallioti. »Da haben Sie bestimmt recht, Signora …?«
    »Wer will das wissen?«
    Er wollte schon nach seinem Polizeiausweis greifen, überlegte es sich dann aber anders. Falls er erreichen wollte, dass Marta mit ihm redete, würde er sich einen Bärendienst erweisen, wenn die Nachbarn darüber zu tratschen begannen, dass sie Besuch von der Polizei bekam.
    »Ich bin ein Freund von ihr«, sagte er und lächelte. »Severino Cavicalli.« Pallioti streckte ihr schnell die Hand hin.

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