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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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Geste. Schönheit kennt kein Alter. Pallioti wusste nicht, wer das gesagt hatte, aber er wusste ohne den Hauch eines Zweifels, dass er recht gehabt hatte. Er stand auf und ging an ihren Tisch.
    »Ich wollte Sie nicht stören.« Sie lächelte ihn an. »Es war ein so übler Abend. Ich ertrug es nicht, allein zu Hause zu sitzen. Wo ständig die Fenster klapperten.« Sie deutete auf den Stuhl ihr gegenüber. »Möchten Sie mir Gesellschaft leisten? Oder sind Sie zu sehr damit beschäftigt, Ihre Welt nicht aus den Fugen geraten zu lassen?«
    »Solange ich Sie nicht störe, Signora.«
    »Nie, mein Freund.«
    Bernardo, der sie nicht aus den Augen gelassen hatte, nahm Palliotis Glas vom Tisch und eilte mit der Grappaflasche herbei. Auf ein Nicken hin schenkte er auch Signora Grandolos Glas voll. Pallioti setzte sich ihr gegenüber.
    Sie lächelte.
    »Auf den guten Kampf«, sagte sie mit erhobenem Glas. »Und auf die Kameraden, die gefallenen wie die lebenden.«
    »Auf die Kameraden.« Pallioti tat es ihr nach und ließ den süßlich scharfen Grappa über seine Zunge rollen.
    Sie trug heute Grau, eine weiche Farbe. Wie Rauch. Dezente Ohrringe mit ansehnlichen Diamanten funkelten im Kerzenschein. Als sie die Hand hob, um einen davon gerade zu rücken, fiel Pallioti wieder einmal auf, dass im Gegensatz dazu ihr Ehe- und Verlobungsring ganz schlicht gehalten waren. Sie bemerkte seinen Blick und lächelte.
    »Cosimo hat mir im Lauf der Jahre viele außergewöhnlich schöne Dinge geschenkt«, sagte sie. »Aber nichts, was wertvoller wäre als der hier.« Sie drehte den schlichten Goldreif. »Meine Töchter tragen beide keinen Ring. Sie behaupten, sie bräuchten keinen Ring, ›um ihre Liebe zu beweisen‹. Ich weiß nicht, ob ich sie bewundern oder für unbedarft halten soll. Was meinen Sie dazu?«
    »Ein Ring ist also ein Beweis?«
    »Nein.« Signora Grandolo lachte. »Es ist einfach nur ein Ring. Verbunden mit Erinnerungen.«
    Sie hob die Hand ins Licht, sodass die Kerze den matten Glanz des Goldreifs und das tiefe Leuchten der kleinen Steine in ihrem Verlobungsring betonte.
    »Aber«, ergänzte sie, »sie sind auch ein Testament, finde ich. Ein Souvenir. Und ein Gelübde. Eine Art von Versprechen, die nichts mit einem Beweis zu tun hat. Meinen Sie nicht auch?«
    »Möglich«, sagte Pallioti.
    »Ich weiß nicht.« Sie betrachtete erst ihre Ringe und sah dann ihn an. »Meine Töchter vertrauen so sehr darauf, dass alles seinen rechten Gang geht«, sagte sie. »Sie glauben, dass das Richtige letztendlich immer siegt, weshalb es keine zusätzliche Absicherung durch ein Gelübde oder Erinnerungen mehr braucht. Wahrscheinlich glauben sie einfach an die natürliche Gerechtigkeit. Ich bin froh, dass sie das können. Aber ich weiß nicht, ob ich ihren Glauben teile. Vielleicht hat auch das etwas mit dem Krieg zu tun.«
    »Wo haben Sie ihn verbracht?«
    Noch während Pallioti die Frage stellte, fragte er sich, ob sie wohl unhöflich war, ob sie sich so anhörte, als suche er nach einem Ansatzpunkt, um ihre Vergangenheit auszuleuchten, ihr Alter oder andere Dinge, die sie ihm nicht verraten wollte. Er dachte an Caterina Cammaccios Warnung – dass es besser war, nicht allzu wissensdurstig zu sein, wenn es um den Krieg ging – und an ihren Vater, der eine solche Einstellung grässlich gefunden hätte. Plötzlich musste er lächeln, als sei das seine eigene Erinnerung.
    »Was ist?«, fragte sie.
    Pallioti schüttelte den Kopf. »Nichts.« Er nahm einen Schluck Grappa. »Es war nur etwas, das ich gelesen habe. Über die Gefahren eines allzu wissensdurstigen Geistes.«
    »Insgesamt ist es trotzdem besser, einen zu besitzen, oder nicht?« Signora Grandolo hatte ebenfalls das Glas erhoben. Dann antwortete sie: »Anfangs war ich hier. Wir zogen oft um. Cosimo war erst in Rom, dann in einem Kriegsgefangenenlager. Die Bank war natürlich schon immer in Florenz. Aber seine Familie besitzt ein Haus in Rom. Wenn man sich dort zum Mittagessen an den Tisch setzt, blickt man direkt auf den Palatin. Nach unserer Hochzeit wohnten wir ein paar Jahre dort, dann kam er hierher zurück, um die Bank zu leiten. Ich wurde in Rom nie wirklich heimisch. Kennen Sie es?«
    »Ich kenne es. Aber nicht gut.«
    »Ich weiß, was Sie sagen wollen.« Sie lächelte und nippte an ihrem Grappa. »Eine Stadt ist wie eine Frau: Man kennt sie erst, nachdem man sein ganzes Leben mit ihr verbracht hat.«
    Pallioti merkte, wie er rot wurde. »So in der Art, nehme ich an. Obwohl es

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