Die Toten der Villa Triste
Schaden war. Pallioti gehörte selbst der alten Schule an und baute immer noch auf das Überraschungsmoment.
»Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen«, sagte er, »dass Signor Trantemento ermordet wurde.«
»Mein Gott!«
Es blieb still.
»Mein Gott!«, wiederholte David Eppsy. »Ermordet? Wie in aller Welt ist das passiert?«
»Auf höchst gewöhnliche Weise, muss ich leider sagen. Mit einer Schusswaffe. Jemand hat ihn erschossen, und zwar in seiner Wohnung.«
»Mein Gott. Wie grauenvoll.«
»Genau.«
Du hast ja keine Ahnung, dachte Pallioti. Plötzlich sah er wieder die nackte Angst in Giovanni Trantementos toten Augen, die zerbrochene Brille, den aufgerissenen Mund. Er sah wieder, wie Enzo sich vorbeugte, den Finger ableckte und dann »Salz« verkündete. Er schob die Erinnerung beiseite.
»Der Grund, weswegen ich anrufe«, fuhr Pallioti fort, »und weswegen ich Ihre Zeit in Anspruch nehmen muss, ist, dass wir einen Brief von Ihnen an Signor Trantemento gefunden haben. Er traf an seinem Todestag ein. Am 1. November.«
»Ach.« Es blieb kurz still. »Ach ja«, sagte David Eppsy dann. »Ja, natürlich.«
Pallioti hatte eigentlich nicht erwartet, dass Eppsy den Brief verleugnen würde, aber er war trotzdem froh, dass er dazu stand.
»Ich hatte ihm geschrieben, wegen unserer kleinen – Abmachung.«
Zum ersten Mal schlich sich ein verlegener Unterton in die Stimme des Engländers, etwas Leises, Verstohlenes. Pallioti ignorierte es.
»Der Brief«, sagte er. »Können Sie mir sagen, was sich genau in dem Umschlag befand?«
Wieder blieb es still.
»Also, zum einen das Schreiben, versteht sich. Ich nehme an, das haben Sie gefunden.«
»Stimmt. Was sonst?«
»Hmmmm.«
David Eppsy senkte die Stimme. Pallioti konnte ihn auf und ab gehen hören. Etwas knirschte wie Kies, dann schien Holz zu knarren.
»Das Schreiben, wie gesagt«, hakte Pallioti nach. »Und sonst?«
David Eppsy räusperte sich. »Eine Geldanweisung«, sagte er. »Über dreitausend Pfund. Wie viel das in Euro auch sein mag.«
»Ich verstehe. Eine Geldanweisung?«
»Also genauer gesagt waren es zwei. Auf diese Weise ist es etwas diskreter. Sie wurden …«, David Eppsy lachte nervös, und plötzlich tat er Pallioti leid, »… über die Western Union ausgestellt. Wirklich praktisch, nebenbei bemerkt.« Schlagartig klang er wieder übertrieben gut gelaunt. »Fast wie ein Büchergutschein. Auf diese Weise braucht man keinen Scheck auszustellen.«
»Ja«, sagte Pallioti. »Genau. Haben Sie irgendwo Unterlagen darüber, welche Nummern die Anweisungen hatten?«
»Aber ja. Ja. Natürlich.«
David Eppsy klang so begeistert, helfen zu können, dass Pallioti sich fragte, ob er wohl ein jüngerer Sohn war.
»Natürlich«, wiederholte er. »Wenigstens nehme ich das an. Irgendwo zu Hause.« Seine Stimme senkte sich wieder. »Brauchen Sie die Nummern jetzt gleich?«, fragte er. »Ich meinte, wahrscheinlich ließe sich das machen. Ich möchte wirklich helfen. Ich könnte arrangieren, dass jemand – aber es wäre, also ehrlich gesagt …«
»Ich brauche sie nicht sofort«, beruhigte ihn Pallioti. »Vielleicht brauche ich sie überhaupt nicht.«
»Also, falls doch …« Die Erleichterung war unüberhörbar. »Oder falls ich irgendwie anders behilflich sein kann. Egal wie. Der arme alte Knabe.«
»Ja«, stimmte Pallioti ihm zu. »Der arme alte Knabe. Bitte verzeihen Sie, dass ich Sie in Ihrem Urlaub gestört habe. Sie haben mir sehr geholfen.«
»Inspektor!«, hörte er David Eppsy rufen, als er gerade auflegen wollte. »Inspektor«, sagte er. »Ich würde gern wissen, ob – also, hat die Beerdigung schon stattgefunden?«
»Nein. Nein«, sagte Pallioti. »Aber der Leichnam wird in Kürze freigegeben. An seine Schwester und seinen Neffen.«
»Nun, wenn die Beerdigung stattfindet und Sie davon erfahren – wäre es dann möglich, dass mich jemand informiert? Ich wäre wirklich dankbar.« Er stieß ein leises Lachen aus. Es klang nicht besonders fröhlich. »Man möchte in so einem Fall wenigstens Blumen schicken«, sagte er dann. »Als Zeichen des Respekts und so weiter.«
»Ich werde sicherstellen, dass man Sie informiert. Ich werde Sie persönlich anrufen.«
»Würde mich freuen. Was für ein Verlust.«
Eine halbe Welt entfernt murmelte David Eppsy immer noch in den Hörer, als Pallioti sein Handy zuklappte. Er stand kurz da und sah zwei Tauben zu, die sich neben einem der Müllkarren um eine Orangenschale stritten. Sie plusterten ihr
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