Die Toten der Villa Triste
abtransportiert u. exekutiert.
Enrico Bernardo Cammaccio, geb. Florenz 1921, 23 J., Deserteur. 11 Uhr abtransportiert u. exekutiert.
Carlo Francesco Peralta, geb. Venedig 1921, 23 J., Deserteur. 11 Uhr abtransportiert u. exekutiert.
Die nächsten drei Namen auf der Liste kannte er nicht.
Mario Tommaso Benelli, 19.
Porfirio Rodrigo Andarri, 18.
Romolo Teodoro DellaChiesa, 19.
Alle waren als Deserteure aufgeführt, alle waren am 15. Juni um elf Uhr abtransportiert und exekutiert worden.
Starke Arme, ein schiefes Lächeln. Noch halbe Knaben, die einen Graben ausheben und sich dann hinknien mussten. Pallioti merkte, wie es ihm die Luft abschnürte. Er las die letzten drei Namen auf der Liste.
Piero Balestro, geb. Siena 1921, 23 J.
Giancarlo Menucci, geb. Siena 1924, 20 J.
Giovanni Rossi, geb. Pisa 1921, 23 J.
Und hinter jedem die Worte 11 Uhr abtransportiert. Und danach das entscheidende Wort: Exekutiert.
34. Kapitel
Er hatte nicht erst Enzo Saenz oder auch nur Guillermo angerufen. Stattdessen hatte er auf das Papier in seiner Hand gestarrt, war dann um den Wagen herumgegangen, hatte die Tür aufgezogen und Eleanor Sachs befohlen, den Fahrersitz freizumachen. Als sie trotzig auf den Beifahrersitz gerutscht war, statt auszusteigen, hatte er gar nicht erst mit ihr diskutiert, sondern sie nur angeraunzt, den Gurt anzulegen.
Sie sprach kein Wort, bis sie an San Casciano vorbei waren.
»Sie waren es, nicht wahr? Sie haben die Leute von Radio Julia verraten. Darum geht es hier, oder?«
Pallioti nickte, ohne den Blick von der Straße zu wenden. Er fuhr beängstigend dicht auf den Wagen vor ihnen auf, blendete auf und drückte auf die Hupe, bis der Fahrer mit einer obszönen Geste die Spur freigab.
»Wie ist das damals abgelaufen?« Sie klang angespannt.
»Sie wurden verhaftet. Im Februar. Nach dem Attentat vor dem Theater. Die drei Männer, Massimo, Il Corvo, Beppe.« Vor Pallioti lag jetzt ein gerades, freies Straßenstück, trotzdem sah er sie nicht an.
»Aber Lilia nicht?«
»Nein. Sie konnte entkommen.«
»Und dann wurden sie in die Villa Triste gebracht und dort drei Tage eingesperrt, bevor sie ebenfalls entkommen konnten. Nur dass …«, Eleanor sah ihn an, »… dass sie gar nicht entkommen sind. Nicht wirklich.«
»Genau.«
Pallioti hörte Signora Grandolos Stimme in seinem Kopf. Niemand kam je aus der Villa Triste frei. Genauso wenig entkam man von dort. Das hatte Isabella ihrer Schwester damals erklärt. Ein Wachposten vorn im Lastwagen. Einer hinten. Für drei Männer. Beide zu schwer verletzt, um die drei am Entkommen zu hindern. Das war Quatsch, und Giovanni Trantemento hatte es praktisch offen ausgesprochen. Antenor. Offenbar hatte er bewusst oder unbewusst gehofft, dass sich jemand alles zusammenreimen würde. Dass ihm jemand diese Last abnehmen würde. Ihn erlösen würde, bevor es zu spät war. Du hast diesen Orden mehr verdient als ich. Er hätte es nur noch rot unterstreichen müssen. Kein Wunder, dass Massimo sich gesorgt und beschlossen hatte, Trantemento den Mund zu stopfen, bevor er seine Sünde beichten konnte.
»Es war also alles geplant«, sagte Eleanor. »Sie durften entkommen und untertauchen, und der Preis dafür war Radio Julia.«
Pallioti nickte. Und was noch? Das Haus, in dem die Waffen versteckt worden waren, das stand so gut wie fest. Falls das stimmte, waren sie für Mario Carita Gold wert gewesen. Eine Ladung Waffen, Munition, Sprengstoff – und wie viele Verhaftungen? Wie viele zerschmetterte Leben? Danach noch Julia.
Kein Wunder, dass man ihnen alle Bitten erfüllt hatte – nach einer neuen Identität. Falschen Papieren, mit denen eine jüdische Familie in die Schweiz ausreisen konnte. Einer sicheren Ausreise nach Spanien. Geld für Ärzte und Medikamente. Im Grunde ging es nur darum , hatte Balestro gesagt, sich um seine eigenen Leute zu kümmern. Nur dass Issa die GAP als ihre eigenen Leute betrachtet hatte. Die GAP werden sich um mich kümmern , hatte sie Caterina erklärt. Wir haben einen unverbrüchlichen Bund geschlossen. Dieser Irrglaube, nicht die Achtlosigkeit ihrer Schwester, hatte so viele Menschenleben gekostet. Einer von ihnen musste sich an jenem Morgen mit Carita in Verbindung gesetzt haben, sobald sie von dem Treffen in dem Haus abseits der Via dei Renai erfahren hatten.
Pallioti versuchte, den Zorn zu zügeln, den er in sich aufsteigen spürte.
»Aber wie hat er das angestellt?«, fragte Eleanor. »Wie konnte Balestro danach zurückkehren und
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