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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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fünfzehn Minuten hatte er herausgefunden, was er wissen wollte. Die Offensive der Alliierten hatte wie geplant am 9. April begonnen. Die erste Welle hatte aus achthundertfünfundzwanzig Liberators und Flying Fortresses bestanden. Bis zum Spätnachmittag hatten sie hundertfünfundsiebzigtausend Bomben abgeworfen. Und das war nur der Anfang gewesen. Die Kämpfe waren im Süden von Bologna besonders intensiv, wo sich die Fünfte Armee der USA zum Po vorgekämpft hatte. Eine knappe Woche später, am 15. April, warfen alliierte Bomber eintausendfünfhundert Tonnen Sprengstoff auf den Monte Sole ab – dreimal mehr, als die deutsche Luftwaffe auf Coventry hatte fallen lassen. Trotzdem hielten die Deutschen durch. Erst nach weiteren sechs Tagen wurde Bologna am 21. April von polnischen Truppen befreit.
    Pallioti setzte die Brille ab. Er starrte aus dem Fenster, über die Palazzi und die malerischen roten Dächer hinweg. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie es in diesem irrsinnigen Höllenkessel gewesen sein musste, in dem Isabella und Caterina schließlich gestorben waren. Am meisten erstaunte ihn jedoch, dass es damals überhaupt noch ein Italien, ein Europa zu retten gegeben hatte.

    Schließlich hatte Pallioti den Computer heruntergefahren. Er legte gerade die Papiere in die Schublade zurück, als sich Guillermo auf der Sprechanlage meldete.
    »Pronto.« Er drückte den Sprechknopf, ohne auch nur aufzusehen.
    »Hier ist jemand, der Sie sehen möchte. Eine Frau Professor Sachs«, sagte Guillermo, als wüsste er nicht haargenau, wer sie war.
    »Eleanor Sachs«, hörte Pallioti Eleanor sagen.
    Er lächelte.
    »Schicken Sie sie herein.«
    Pallioti hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie gemeinsam den toten Piero Balestro gefunden hatten. Sie trug Jeans und Jeansjacke. Und sie sah auf ihre Uhr.
    »Die Sonne steht schon über dem Rahsegel«, verkündete sie. »Oder wo auch immer. Ich dachte, ich könnte Sie vielleicht zum Mittagessen entführen?«

    Sie beschlossen, zu Fuß zu gehen, überquerten die Ponte alla Carraia und bogen am anderen Ufer in Richtung Carmine ab, wo sie an den Schaufenstern vorbeibummelten und den klaren Nachmittag genossen, ohne sich mit belanglosem Small Talk zu belasten, bis Eleanor schließlich aussprach, was ihr auf dem Herzen lag.
    »Ich werde heimkehren.«
    Pallioti sah sie verdutzt an.
    »Nein, ich meine wirklich heimkehren«, stellte sie klar. »In die Vereinigten Staaten. Nicht nach England. Sagen Sie nichts«, kam sie ihm zuvor. Ihre schmalen Schultern ruckten unter der Jacke. Die Hände hatte sie tief in den Taschen vergraben. »Meine Ehe ist am Ende, und Exeter hasse ich sowieso. Es ist am besten so.«
    Als sie ein paar Minuten später ankamen, hielt er ihr die Restauranttür auf. Es war eine kleine, angenehm geschäftige Trattoria, in der man anonym bleiben konnte, weil es dort allein ums Essen ging. Sie schlängelten sich durch die Gäste, vermieden erfolgreich den Zusammenstoß mit einem Ober und ergatterten im Hinterzimmer einen kleinen Tisch, wo sich das Aroma der Tagesgerichte verdichtete.
    Eleanor Sachs schlüpfte aus ihrer Jacke und ließ sie über die Rückenlehne ihres Stuhls gleiten. Sie faltete die Hände über dem einfachen weißen Steingutteller, während Pallioti ihr ein Glas Wein aus der Karaffe einschenkte, die man ihnen gebracht hatte.
    »Ich hätte schon längst heimkehren sollen«, sagte sie. »Eigentlich hätte ich, wie man mir immer wieder erklärt hat, das ganze Unterfangen gleich nach dem ersten Versuch aufgeben sollen.« Sie hob ihr Glas und lächelte. »Dann könnte ich mir wenigstens noch ausmalen, wer ich sein könnte. Mir eine große romantische Geschichte zusammenspinnen. Ich bin nur froh, dass ich all das nicht entdeckt habe, bevor mein Dad starb.«
    Pallioti dachte an Caterinas Mahnung, was der Krieg bei einem wissbegierigen Geist anrichten konnte. Er war immer noch nicht ganz überzeugt, ob er ihrer Meinung war. Wenn man ihn vor die Wahl gestellt hätte, hätte er wahrscheinlich eher für Signora Grandolo und Professor Cammaccio Partei ergriffen; und darauf beharrt, dass es besser war, aus dem Bett zu krabbeln und sich der Gefahr zu stellen, wenn man mitten in der Nacht von einem lauten Schlag aus dem Schlaf geschreckt wurde.
    »Piero Balestro war nicht Ihr Großvater«, stellte er fest.
    Der Wein war kraftvoll und dunkel, fast wie Tinte, eine Cuvée aus den Weinbergen der Wirtsfamilie bei Castellina. Eleanor Sachs setzte ihr Glas ab und sah

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