Die Toten der Villa Triste
Cesare D’Aletto diesen Aktivitäten einen Riegel vorgeschoben und war dadurch zum Helden geworden. Wie man hörte, hatte man ihm eine bedeutende Beförderung in Aussicht gestellt, der er nur unter der Bedingung zugestimmt hatte, dass er im Süden bleiben und »die angefangene Aufgabe zu Ende führen« konnte, womit er endgültig zum Lokalhelden aufgestiegen war. In seiner jüngsten Pressekonferenz hatte er Enzo Saenz und Pallioti für ihre Hilfe gedankt und hervorgehoben, dass sie »ein Paradebeispiel für beispielhafte Polizeiarbeit« geboten hatten.
Alles in allem hatte Florenz, so sah es der Bürgermeister, für die nächsten Jahrzehnte bei den Polizeibehörden im Land etwas gut. Palliotis neue Abteilung wurde inzwischen als »wegweisendes Modell kooperativer Polizeiarbeit für das einundzwanzigste Jahrhundert« gehandelt, und die Kritiker des Bürgermeisters hatte man so weit ins Dickicht zurückgetrieben, dass sie lange, lange nicht mehr herausfinden würden.
»Bravissimo!«
Der Hörer wurde weggelegt. Pallioti hörte Papier rascheln und dann ein weiteres »Bravissimo!«.
»Alles, was Sie sich wünschen, mein Freund«, sagte der Bürgermeister, als er endlich zu Atem gekommen war. »Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, darum zu bitten!«
Pallioti sah aus dem Fenster. Von seinem Schreibtisch aus blickte er auf einen klaren Vorwinterhimmel und das graue Dach des Palazzo auf der anderen Seite der Piazza. Was sollte er dazu sagen? Dass er sich wünschte, Enzo und der ermittelnde Richter würden ihre Meinung zum Tode von Piero Balestro überdenken und den angeblichen Selbstmord noch einmal untersuchen?
Ohne eine einzige handfeste Spur würde das bestimmt nicht passieren. Und selbst wenn, würde der Bürgermeister garantiert einwenden, dass damit niemandem gedient wäre. Zwei Mordfälle waren gelöst, aufgeklärt und ad acta gelegt. Und wenn die Auskünfte gegenüber der Presse ein wenig vage geblieben waren – nun ja, das war vielleicht nicht direkt wünschenswert, aber trotzdem leichter zu verdauen als die unerfreuliche Wahrheit: dass drei alternde und ausgezeichnete Helden in Wahrheit brutale Verräter gewesen waren, die Tod und unermessliches Leid über ihre Mitmenschen gebracht hatten und danach ein langes und in vieler Hinsicht erfülltes Leben geführt hatten, bevor sie sich schließlich in die Haare geraten waren und sich gegenseitig umgebracht hatten. Zum einen würden ihre Familien, und nicht nur Maria Valacci und Roberto Roblinos Haushälterin, völlig außer sich geraten.
Seit das Lämmchen vom Tod seines Vetters erfahren hatte, hatte sich der alte Mann zu Massimos größtem Fürsprecher gewandelt. Pallioti hatte die Nachricht persönlich überbracht und war dafür geradewegs zu ihm gefahren, sobald er Balestros Anwesen verlassen hatte. Agata, die zu diesem Zeitpunkt die Schweine versorgt hatte, hatte nicht übermäßig schockiert gewirkt. Dann hatten sich ihre Gedanken unübersehbar auf Balestros Bankkonto und sein Anwesen konzentriert. Achilleo Venta hingegen war in Tränen ausgebrochen, und seine zerbrechlichen Schultern hatten gefährlich gezuckt, als seine knorrige Hand die von Pallioti ergriffen hatte.
Als Pallioti eine Stunde später über die löchrige Piste gerumpelt und auf die Straße in Richtung Florenz abgebogen war, hatte er bemerkt, dass ihn sein Job nicht zum ersten Mal über das eigenartige Wesen der Liebe nachdenken ließ. Es würde wohl auch nicht das letzte Mal bleiben.
»Wirklich zu traurig, mein Freund, dieser Zwist unter unseren heiligen Helden. Ich weiß, dass dich das unglücklich macht.«
Der Bürgermeister kannte ihn gut. Sie waren seit vielen Jahren befreundet.
»Manchmal«, fuhr er fort, »manchmal müssen wir für das große Ganze Kompromisse schließen.«
»Ja«, sagte Pallioti. »Manchmal müssen wir das.«
Nachdem Pallioti aufgelegt hatte, griff er nach einem Stift und begann, damit auf seine Schreibunterlage zu klopfen. Das Gespräch, das er am Vorabend mit Saffy geführt hatte, wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Bislang war sie die Einzige, der es genauso wenig einleuchten wollte wie ihm, dass Piero Balestro nach so vielen Jahren nur auf Palliotis Besuch hin urplötzlich die Fassung verloren haben sollte und dass er daraufhin vierundzwanzig Stunden später von einer anscheinend nie da gewesenen, heftigen Gewissensattacke gepackt wurde, die ihn dazu trieb, seine Taschen mit Salz zu füllen und in den Wald zu fahren, wo er sich bei Tagesanbruch mit einer
Weitere Kostenlose Bücher