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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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ihn an.
    »Sind Sie sicher?«
    Pallioti nickte. »Jedenfalls, wenn Sie sicher sind, dass Ihr Vater in Italien geboren wurde«, fuhr er fort. »Piero Balestros beide Kinder, der Junge wie das Mädchen, kamen in den Vereinigten Staaten zur Welt. In Ann Arbor, Michigan. Seine Frau hat später wieder geheiratet. Aber sie gab keines der Kinder zur Adoption frei. Nach der zweiten Heirat nahmen die beiden den Namen ihres Stiefvaters an. Sie sind inzwischen ebenfalls verheiratet und haben eine eigene Familie.«
    Er griff in die Tasche und legte ein zusammengefaltetes Blatt Papier auf den Tisch.
    »Das sind ihre Namen und Adressen. Ich wüsste nicht, was dagegen spräche, sie anzurufen und das noch einmal zu überprüfen.«
    »Danke«, sagte sie. »Ich hätte damit leben können – aber ich bin froh, dass ich es nicht muss.«
    »Werden Sie weitersuchen?«
    Sie sah ihn nachdenklich an. »Nach Il Spettro? Ob es ihn tatsächlich gegeben hat? Sie haben mir versprochen …«, sie lächelte, »… wissen Sie noch? Dass Sie mir Bescheid sagen würden, falls Sie ihn finden.«
    Pallioti nickte. Eleanor griff nach ihrem Glas und stieß mit ihm an.
    »Versprochen?«, fragte sie noch einmal.
    »Ehrenwort.«
    »Vielleicht höre ich auf.« Sie wurde wieder ernst. »Jedenfalls vorerst. Vielleicht lasse ich alles so, wie es ist. Nehme die ganze Geschichte als Mahnung und begnüge mich fortan mit meinen Fantasien. Sie wissen schon, so wie ›Der Weg ist das Ziel‹? Ich weiß nicht«, sagte sie dann und seufzte, »in den letzten Jahren habe ich so viel Zeit damit verbracht, durch die Welt zu rasen und die Vergangenheit auszuleuchten, dass ich vielleicht blind für die Gegenwart war. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, was das alles sollte. Ob es wirklich so entscheidend ist. Wer deine Eltern sind. Oder gar deine Großeltern. Wir sind nicht mehr und auch nicht weniger wir selbst, wenn wir das wissen – oder?«
    Sie sah Pallioti an, als würde sie tatsächlich erwarten, dass er diese Frage beantworten konnte, als könnte er ihr eine Art Absolution erteilen, die sie ein für alle Mal befreien würde. Er war erleichtert, als der Ober an ihren Tisch kam und quasi im Vorbeigehen ihre Bestellung aufnahm.
    Als er wieder abrauschte, war Eleanor so weit abgelenkt, dass sie mit Messer und Gabel zu spielen begann und das Besteck in immer neuen Stellungen auf dem leeren Teller anordnete.
    »Wissen Sie«, sagte sie schließlich, »ich habe mir dieses dämliche Video ungefähr eine Million Mal angesehen. Ich war überzeugt, dass ich es nur lang genug ansehen müsste, oder nur noch ein einziges Mal, dann würde ich finden, wonach ich suchte, einfach weil ich es finden wollte.«
    »Und haben Sie es gefunden?«
    Sie sah auf und lachte. »Ja! O Gott, ja. Ich suchte nach einem Mann, der meinem Vater ähnlich sah, wenigstens ein bisschen. Ich hatte mich überzeugt, dass ich genau das sehen würde – und weil ich es erwartete, sah ich es auch. Mein Großvater war der große Partisanenheld, also musste jeder alte Mann, der früher bei den Partisanen gekämpft hatte und etwa seine Größe hatte oder auf eine bestimmte Art lächelte, mein Großvater sein. Ist das nicht immer das Problem?«
    Sie lehnte sich zurück, während der Ober zwei Schalen mit einer dicken, dampfenden Brühe vor ihnen abstellte.
    »Bei allen Augenzeugen, meine ich«, führte sie aus und griff nach dem Löffel. »Ich meine, entweder wollen sie der Polizei einen Gefallen tun und sehen darum genau das, was man ihrer Meinung nach von ihnen hören will. Oder sie sehen nur das, was sie zu sehen erwarten, was nicht unbedingt das ist, was wirklich passiert.« Sie zuckte mit den Achseln. »Jedenfalls habe ich das gehört.«
    »Richtig.« Der Bollito misto, wenn es denn einer war, schmeckte köstlich. Pallioti dachte an Isabella, an die vielen Leichen, die Arme und Beine. »Ja«, sagte er. »Da haben Sie recht.«
    Eleanor griff nach einem Stück Brot.
    »Die Menschen sind längst nicht so wissbegierig, wie sie sich gern einbilden«, stellte sie fest. »Eigentlich sind wir leicht zu täuschen. Wir halten uns für schlau und aktiv, aber die meisten von uns sind eher faul und nicht besonders helle. Nehmen Sie meine Studenten. Nein«, verbesserte sie sich und brach das Brot entzwei. »Die sollten Sie nicht nehmen. Jedenfalls«, sie griff nach ihrem Glas und hob es an, »sollte ich Ihnen dankbar sein, weil Sie mir die Augen geöffnet haben.«
    »Ich glaube, das war ich gar nicht«, sagte Pallioti. »Aber

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