Die Toten der Villa Triste
verraten hatte. Und durch ebendiese Tür waren die kostbaren, für die Befreiung bereitgelegten Waffen auf die Straße geschleppt und die Verhafteten hinausgeführt oder -geschleift worden. Diese Straße war das Letzte gewesen, was jene Menschen an diesem Februarmorgen gesehen hatten. Ihre letzte Station vor der Villa Triste.
Auf der Plakette stand schlicht:
Jenen, die ihr Leben
im Kampf gegen den Faschismus ließen.
20. Februar 1944
Sie starben für Freiheit und Gerechtigkeit.
Daneben war genau wie in der Via dei Renai eine Metallklammer angebracht, in der eine kleine Glasvase hing. Der Strauß in dieser Vase bestand aus je einer Handvoll blauer und rosafarbener Blumen. Ein festes blaues Band flatterte leise in der Brise. Die Karte hing an einer Raffia-Kordel. Pallioti brauchte sie nicht umzudrehen, um zu wissen, dass darauf die Worte »Gedenkt der Gefallenen« eingeprägt waren.
Ein paar Sekunden blieb er stehen und betrachtete nachdenklich das Band und die Blumen. Dann griff er in seine Tasche und zog sein Portemonnaie heraus. Dort, zwischen mehreren Euroscheinen, steckte die Visitenkarte des Blumengeschäfts, die ihm Signora Grandolo gegeben hatte, als sie von der Gedenkstätte für Radio Julia zum Auto zurückgegangen waren. Er prägte sich die Adresse ein, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte eilig davon.
37. Kapitel
Die Blüten waren weiß. Gewaltsam aus dem Erdreich getriebene Gewächshauslilien. Und Rosen. Selbst Palliotis großzügiges neues Büro wurde von ihrem Duft erfüllt, einer Mischung süßer und scharfer Noten, als hätte jemand Winter und Sommer zu einem schwindelerregenden Cocktail gemixt.
» Bellissima. Da kann sich jemand glücklich schätzen.«
Guillermo betrachtete den großen weißen Karton, dessen Deckel auf Anraten der Floristin abgenommen worden war, damit der Strauß atmen konnte. »Ein Dutzend Blumen«, hatte Pallioti bestimmt. »Nein, vierundzwanzig.« Sie hatte fast eine halbe Stunde gebraucht, um die Blüten auszuwählen und zu arrangieren, die Mitte und die Ränder des Arrangements mit weichen, graugrünen Eukalyptuszweigen aufzulockern und die Stängel mit einem dicken Satinband zusammenzuschnüren. Er wusste nicht einmal, wie viel alles zusammen gekostet hatte. Er hatte der Floristin seine Kreditkarte überreicht und die Quittung unbesehen unterschrieben.
Jetzt gab er Guillermo ein Blatt Papier, ohne auf dessen Kommentar einzugehen.
»Ich möchte, dass Sie das für mich überprüfen«, sagte er. »Jetzt gleich. Ich stehe für alles gerade, was Sie dafür tun müssen. Und sagen Sie zu niemandem ein Wort.«
Guillermos Augenbrauen zuckten nach oben und schoben dabei die Haut auf seiner Stirn und der blank polierten Kuppel seines Schädels zu kleinen Falten zusammen.
» Si, Dottore.«
Er faltete das Blatt zusammen und stapfte aus dem Raum.
Hinter der offenen Tür hörte Pallioti ihn rasend schnell auf der Computertastatur tippen. Notfalls hätte er auch selbst suchen können. Aber Guillermo würde das doppelt so schnell schaffen, und plötzlich ahnte Pallioti, dass ihm die Zeit knapp wurde. Genau wie Caterina hatte er das Gefühl, dass sie davonlief, dass die Körnchen immer schneller durch die Sanduhr rieselten.
Es wurde schon dunkel. Die Lichter gingen an und beleuchteten den Palazzo gegenüber, die Loggia und den Brunnen. Der erste Schnee fiel. Dicke, träge Flocken taumelten aus dem düsteren Himmel. Als Guillermo wieder in Palliotis Büro trat, hatten sie sich auf dem Fenstersims zu einer kleinen Schneewehe angehäuft. Pallioti nahm den Zettel entgegen. Er warf einen Blick darauf und sah seinen Sekretär an.
»Sind Sie sicher?«, fragte er. »Ganz sicher?«
» Si , Dottore. Certo. Ganz sicher.«
Pallioti nickte. Er schrieb ein paar Worte auf das Papier, steckte es ein und stand auf.
»Rufen Sie in der Fahrbereitschaft an«, sagte er. »Ich brauche einen Wagen.«
Dabei hob er den weißen Deckel mit der goldenen Aufschrift vom Tisch und setzte ihn wieder auf den Karton.
Die Fahrt dauerte nur zwanzig Minuten und erschien ihm doch zeitlos, so als würden sie fliegen und weiß Gott wo landen. Als sie ihr Ziel endlich erreichten, den steilen Hügel erklommen hatten und beim Tor eingebogen waren, sah der Fahrer über die Schulter zurück.
»Soll ich warten?«, fragte er.
Der Wagen hielt, und Pallioti schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Fahren Sie heim.« Er zog den Karton über den Rücksitz, legte ihn über den Arm und öffnete die
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