Die Toten der Villa Triste
Waffe, die niemand je in seinem Besitz gesehen hatte, das Leben nahm.
Natürlich, hatte sie ihm beigepflichtet, war so etwas möglich. Alles unter der Sonne war möglich. Massimo hätte sich auch als unzugänglicher, aber leidenschaftlicher Familienmensch herausstellen können oder als vorbildlicher, altruistischer Arzt, dessen einziges Lebensziel es war, den Armen zu helfen.
Nur dass es nicht so gekommen war.
In seinem Testament hatte er nichts gespendet. Die junge Frau, die seinen Haushalt geführt hatte, war wenig mehr als seine Sklavin gewesen. Er hatte in den Vereinigten Staaten eine Frau mit zwei Kindern zurückgelassen, mit denen er seit Jahren kein Wort gesprochen hatte, und seine Zeit – erst in Zimbabwe, dann in Südafrika – keineswegs damit zugebracht, selbstlos die Kranken zu heilen, sondern stattdessen mit fantastischen Gewinnen illegale Medikamente verkauft, womöglich im Tausch gegen kleine Kinder. Sie traute ihm durchaus zu, hatte Saffy erklärt, dass er die beiden anderen Männer getötet hatte, vor allem, wenn sie tatsächlich sein kleines Buchprojekt torpedieren wollten. Aber sie würde eher an eine Eiszeit in der Hölle glauben als daran, dass sich dieser Mann innerhalb von zwei Tagen um hundertachtzig Grad gewandelt und sich aus purer Reue das Leben genommen hatte. Dafür, hatte sie beharrt, sei schon sein Ego entschieden zu groß.
Pallioti war da ganz ihrer Meinung. Aber beide mussten sich damit abfinden, dass es nichts gab, was auf einen anderen Tatablauf hingedeutet hätte. Ein paar abgeknickte Zweige und ein Trampelpfad durch den Wald zu einer Nebenstraße, die, im eigentlichen wie im übertragenen Sinne, in die Wildnis führte – und an der vielleicht jemand geparkt hatte, vielleicht aber auch nicht. Die Tatsache, dass im Seitenfach der Fahrertür ein Paar Handschuhe gefunden worden war und dass die Handschuhe, die er getragen hatte – und auf denen sich tatsächlich Schmauchspuren gefunden hatten –, nicht von der Marke waren, die er sonst immer kaufte. Kein einziges Salzkörnchen in den Fußmatten, den Polstern oder sonst wo im Wagen. Selbst Pallioti musste zugeben, dass das zusammen wirklich keine heiße Fährte ergab.
Trotzdem fühlte er sich seit dem Gespräch besser. Sie hatten den Rest Wein in der Flasche aufgeteilt und das Thema gewechselt. Hatten über die Verkäufe auf Saffys gegenwärtiger Ausstellung und das Thema ihrer nächsten geplaudert. Über das offenbar fantastische Hotel, das Maria Grandolos Familie für die Herbstferien angemietet hatte. Darüber, ob Saffy und Leo im kommenden August endlich eine Villa am Meer mieten würden, und wenn ja, ob sie dann eine in Agrigent nehmen sollten, wo sie nicht allzu weit entfernt wären und Pallioti sie übers Wochenende besuchen konnte, oder lieber auf Sardinien, das vom Wetter her stabiler war, oder gar in Apulien, das Maria seit ihrem letzten Urlaub wie wild anpries. Insgeheim hoffte Pallioti, dass sie die letzte Alternative verwerfen würden. Wenn er sich vorstellte, dass Maria Grandolo ihm am Strand auflauern oder halb nackt an seinem Pool auftauchen könnte, würde er im nächsten August lieber freiwillig Überstunden schieben.
Er widmete sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch. Ein Teil davon enthielt die letzten noch zu klärenden Details des Betrugsfalles, der Rest die zahllosen Informationen, die Guillermo über Roberto Roblino, Giovanni Trantemento und Piero Balestro zusammengetragen hatte. Dazu zählten Kopien ihrer Grundbuchauszüge, Steuererklärungen und, soweit es Roblino betraf, auch Import- und Exportlizenzen. Auch eine Kopie des Berichts, den das Rote Kreuz damals verfasst und den Eleanor Sachs ausgegraben hatte, lag bei. Sie hatte ihn gefaxt, mitsamt einer Anmerkung, dass sie ihn legal kopiert und nicht gestohlen habe. Pallioti zog ihn heraus und starrte darauf. Eleanor hatte von Anfang an recht gehabt, er war kaum die Mühe wert und bestand aus wenigen Sätzen.
Cammaccio, Caterina. Für tot erklärt. Persönlicher Besitz verwahrt am 21. April bei der Allied Military Field Station #44871, Bologna. Weitergeleitet im Juni 1945 an die Aufbewahrungsstelle des Roten Kreuzes in Florenz.
Pallioti setzte die Brille ab. Er massierte seine Nasenwurzel. Dann griff er erneut nach dem Stift und begann wieder, auf die Schreibunterlage zu klopfen. Wenig später legte er den Stift beiseite und schaltete den Computer ein. Er würde nie ein Computercrack werden, aber mit Google konnte er umgehen.
Nach
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