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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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auch kein Bargeld finden. Ein paar Münzen auf der Kommode, aber keine Scheine. Und da ist noch etwas. Kommen Sie und sehen Sie sich das an.«
    Enzo nickte zum Schlafzimmer hin. Pallioti folgte ihm über den Flur.
    Das Schlafzimmer war kaum kleiner. Auch hier war der Boden mit einem dunkel gemusterten türkischen Teppich belegt. Hier drin waren die Fenster – durch die man auf das Gebäude auf der anderen Seite der Gasse oder genauer auf dessen Dach geblickt hätte – von schweren und auf den ersten Blick mottenzerfressenen Samtvorhängen verdeckt. Das Doppelbett stand gegenüber einem Schrank mit geschnitzten Spiegeltüren. Die Wand über dem gepolsterten Kopfende des Bettes war mit Reihen von teuer gerahmten Drucken bedeckt. Pallioti trat ein.
    »Pornos«, sagte Enzo. »Höflicher ausgedrückt Erotika. Wahrscheinlich wertvoll. Möglicherweise sogar sehr. Achtzehntes Jahrhundert, würde ich schätzen. Es scheint sich um eine Serie zu handeln. Vielleicht auch zwei. So genau habe ich sie mir nicht angesehen.«
    »Jungen?«
    Enzo nickte. »Ausschließlich.«
    Pallioti wandte sich von den dunkel schraffierten Gestalten, den lächelnden Gesichtern und fliegenden Hemdzipfeln ab. Er hatte Pornografie noch nie besonders anregend gefunden, ganz gleich, wie alt sie war. Er seufzte. Sexuelle Neigungen gingen niemanden etwas an, und was zwei mündige Erwachsene freiwillig miteinander anstellten, war das Privateste und Heiligste in ihrem Privatleben. Andererseits wusste er als Polizist, wie oft das Wort »freiwillig« in die eine oder andere Richtung ausgelegt werden konnte. Er hätte nicht sagen können, was er hier zu finden gehofft hatte, aber das war es jedenfalls nicht. Ein vom Präsidenten ausgezeichneter Widerstandskämpfer und Pornohändler. Die Geschichte würde sich nicht besonders gut lesen.
    »Na schön«, sagte er. »Wir sollten …« Aber ehe Pallioti den Satz oder Gedanken zu Ende bringen konnte, hörte er die Gerichtsmedizinerin im Flur fluchen.
    Bis die Männer sie erreicht hatten, hatte sie sich schon in die Hocke begeben und starrte auf den Leichnam, der jetzt mit dem Gesicht nach oben neben ihr lag.
    »Dottoressa?« Enzo war zuerst bei ihr.
    Die Gerichtsmedizinerin sah auf und schüttelte den Kopf.
    »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
    Pallioti trat hinter sie, beugte sich vor und blickte in das Gesicht des alten Mannes. Die hageren und ansonsten wahrscheinlich eingefallenen Wangen waren aufgebläht, wodurch der Tote aussah wie ein Kind in einem Cartoon, das sich bei einer Geburtstagsfeier den Mund mit Kuchen vollstopft. Die Augen des Mannes starrten in Panik durch die verrutschte Brille. Ein Glas war gesprungen. Seine Lippen waren mit etwas Weißem verklebt, das über sein Kinn auf die faltige Haut an seinem Hals gerieselt war.
    »Es sieht so aus, als hätte ihm jemand etwas in den Mund gestopft, und zwar …« Die Gerichtsmedizinerin schüttelte wieder den Kopf. »Ich weiß es nicht. Heroin? Kokain?«
    Enzo kniete sich hin und tupfte mit dem Finger auf das Kinn des Toten. Er schnüffelte an seiner Fingerspitze und leckte dann, bevor Pallioti ihn aufhalten konnte, mit der Zunge darüber.
    »Kokain ist das nicht.«
    Er sah zu ihnen auf, ließ die rosa Zungenspitze vorschnellen und leckte noch einmal.
    »Salz«, stellte Enzo Saenz fest. »Sein Mörder hat ihm den Mund mit Salz gestopft.«

2. Kapitel
    Marta spürte eine leise Beklemmung, als sie den Mann in dem dunklen Mantel auf sich zukommen sah.
    Er war weder groß noch klein, dieser Polizist. Er war auch nicht hässlich. Oder gut aussehend – so wie der junge. Yai. Marta wollte sich nicht ausmalen, wie viele er in Aufregung versetzte. Und wie schön es sein musste, seinetwegen in Aufregung zu geraten. Es war bestimmt ein höchst angenehmer Schauder. Ganz anders als das hier. Aber wenn sie nicht aufpasste, konnte auch der Mann, der jetzt auf sie zukam, Aufregung verursachen, aber in ganz anderer Hinsicht. Es waren die Stillen, dachte sie, immer waren es die Stillen. Dann sagte sie sich, dass sie nichts Falsches getan hatte. Sie hatte es einfach nicht mit Männern in gut geschnittenen dunklen Anzügen. Sonst nichts. Diejenigen, die so leise redeten, hatten ihr immer am meisten Angst gemacht.
    »Signora Buonifaccio, danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit mir zu sprechen.«
    Es war eine Höflichkeitsfloskel. Sie wussten beide, dass sie keine Wahl gehabt hatte.
    »Ich werde versuchen, mich kurzzufassen«, ergänzte Pallioti. »Mir ist klar, dass das

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