Die Toten der Villa Triste
wartete und die Schmutzarbeit erledigte.
Sie brauchten zehn Minuten, um zu dem Gebäude zu kommen, in dem Giovanni Trantemento gelebt hatte. Es konnte keinen Zweifel daran geben, welches Haus es war. Schon jetzt standen ein Krankenwagen, ein Polizeifahrzeug und zwei Streifenwagen davor. Eine uniformierte Polizistin sicherte den Eingangsbereich mit Plastikkegeln. Ein nasser junger Mann, den bestimmt der Bürgermeister als Berichterstatter geschickt hatte, stand zusammengekauert auf dem Bürgersteig. In dem Bushäuschen gegenüber sammelten sich die Neugierigen. Sie starrten durch das verkratzte Plexiglas und beobachteten die Polizisten wie Fische aus einem Aquarium.
Enzo, der Palliotis Fahrer weggeschickt und sich selbst ans Steuer gesetzt hatte, lenkte den Wagen zwischen die Absperrkegel und hielt an. Er und Pallioti öffneten die Türen und liefen mit eingezogenem Kopf durch den Regen, der allem Anschein nach noch heftiger geworden war. Als sie in den Hausgang traten, kamen gerade die Sanitäter die Treppe herunter. Sie trugen eine zusammengeklappte Trage und Sauerstoffkanister. Einer hob den Kopf und fing Palliotis Blick auf. Er schüttelte den Kopf.
»Vierter Stock. Er gehört Ihnen«, sagte er, ohne aus dem Tritt zu kommen.
Ein zweiter Streifenpolizist war damit beschäftigt, das Gitter des winzigen Aufzugs unter dem Treppenabsatz mit Absperrband zu versiegeln. Enzo ging zu ihm hinüber, um mit ihm zu sprechen, während Pallioti die Treppe in Angriff nahm. Die Steinstufen und das dunkle, polierte Geländer verschwanden irgendwo in der Höhe aus seinem Blickfeld. Eine richtige Jakobsleiter, dachte er, ohne genau zu wissen, warum. Er holte tief Luft und machte sich an den Aufstieg.
Das Treppenhaus des riesigen, ausgekühlten Gebäudes war so höhlenartig und so schlecht ausgeleuchtet, dass Pallioti die Frau erst bemerkte, als er auf dem ersten Treppenabsatz angekommen war und nach unten sah. Sie trug ein geblümtes Kopftuch. Als sie zu ihm aufsah, leuchtete ihr Gesicht wie ein bleicher Vollmond aus dem Dunkel. Das Licht war zu schlecht, als dass er gesehen hätte, ob sie blinzelte. Pallioti nickte. Dann stieg er weiter und setzte mit seinen Schritten einen festen Rhythmus gegen das endlose Trommeln des Regens gegen die Fenster.
»Sechs Wohnungen insgesamt, eine im Erdgeschoss, eine unter dem Dach und je zwei auf den beiden Stockwerken dazwischen. Ich habe das ganze Haus absperren lassen. Es kommt gleich ein zweiter Wagen, um Zeugenvernehmungen durchzuführen.«
Im zweiten Stock hatte Enzo ihn eingeholt.
»Wissen wir, wer ihn gefunden hat?«
»Die Frau von unten. Marta Buonifaccio. Eine Art selbst ernannte Hausmeisterin. Sie wollte ihm einen Brief bringen, entdeckte Blut unter der Tür, machte die Tür auf, sah ihn liegen, ging sofort wieder nach unten und rief uns an.«
Pallioti blieb stehen.
»Mit dem Lift?«, fragte er.
Enzo schüttelte den Kopf. »Den hält sie für ein Teufelsinstrument. Sie nimmt grundsätzlich die Treppe.«
»Und die Tür, Trantementos Wohnungstür?«
»War zugezogen, aber unverschlossen. Sie sagte, sie hätte ein dünnes Blutrinnsal gesehen. Unter der Tür. Sie dachte, dass er sich vielleicht den Kopf angeschlagen hat. Und hat aufgemacht, um nachzusehen.«
Sie stiegen weiter.
»Der Alte«, fuhr Enzo fort, »ist ein paar Jahre nach ihr eingezogen. Übrigens ist das ihr Ausdruck – ›der Alte‹. Sie meint, er wäre allmählich gebrechlich geworden. Er handelte mit Briefmarken und Drucken. Im oberen Segment. Sagt Marta.«
Ob es wohl bei Drucken und Briefmarken auch ein unteres Segment gab, fragte sich Pallioti. Wahrscheinlich. Überall gab es ein unteres Segment. Das obere Segment erklärte zumindest die Adresse. Gut, das Haus war zugig und dunkel, aber das oberste Geschoss in so einem Haus – das oberste Geschoss in irgendeinem Haus im Centro Storico – war bestimmt nicht billig zu haben.
Sie bogen um den letzten Treppenabsatz und wurden von einem weißen Gleißen geblendet. Die Spurensicherung stellte bereits ihre Scheinwerfer auf. Pallioti blieb stehen. Er zog die von Enzo gereichten Überzieher über seine Schuhe und schlüpfte in ein Paar Latexhandschuhe. Der Treppenabsatz war breit und bis auf den Wandteppich völlig leer. Das hohe, schmale Fenster im Treppenhaus hätte selbst an einem sonnigen Tag kaum Licht hereingelassen. Der Aufzug befand sich links von ihnen. Die Wohnungstür mit dem gemeißelten steinernen Türsturz befand sich genau gegenüber der Treppe. Sie
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