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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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ein schrecklicher Schock für Sie sein muss. Sie werden später noch eine ausführliche Aussage machen müssen.«
    Die Frau nickte, sah aber nicht auf. Das Kopftuch, das sie sich umgebunden hatte, bedeckte ihr Haar und ließ sie merkwürdig alterslos aussehen. Das und der feste Körper, der nichts von jener Gebrechlichkeit erkennen ließ, die sie ihrem Nachbarn von oben zugeschrieben hatte, erschwerten es Pallioti, ihr Alter zu schätzen. Sie konnte ebenso gut eine früh gealterte Fünfzigjährige wie eine jung gebliebene Achtzigjährige sein. Dafür war unübersehbar, dass sie Angst hatte. Im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Irrglauben hatte Pallioti festgestellt, dass verängstigte Menschen keineswegs zappelig wurden. Sie wurden ganz ruhig. Diese Frau versuchte zu versteinern.
    »Könnten Sie mir«, bat er freundlich, »genau schildern, was heute Morgen passiert ist?«
    Die Frage blieb absichtlich offen. Es war immer interessant festzustellen, wo jemand zu erzählen begann.
    »Da hatte es zu regnen angefangen«, antwortete Marta. »Gegen elf Uhr.« Sie sah zu ihm auf. »Ich konnte es hören. Wie Getrommel. Ich bin vors Haus getreten und habe zugesehen. Ich habe ihn schon immer lieber gemocht. Den Winter.«
    Pallioti lächelte. Ein winziger Funke der Komplizenschaft erglühte. Marta senkte den Blick und holte Luft.
    »Eigentlich gibt es nicht viel zu erzählen«, sagte sie. »Ich habe eine Weile in den Regen geschaut. Dann bin ich wieder ins Haus gegangen. Da oben«, sie nickte in Richtung Treppe, »im ersten Stock haben sie gekocht. Es muss also kurz vor Mittag gewesen sein. Ich esse mittags nicht«, ergänzte sie. »Aber ich bin trotzdem ins Haus gegangen, weil meine Lieblingssendung anfangen sollte, und da lag dieses Zeug auf dem Boden, Speisekarten und so weiter. Also habe ich sie aufgehoben.«
    »Von wem waren die?«
    »Von dem Chinarestaurant unten an der Straße«, antwortete Marta. »Dem, das sie vor zwei Jahren schon einmal geschlossen haben wegen der toten Ratte.« Die in der Toilette gefunden worden war, wenn Pallioti sich recht erinnerte. Das hatte Schlagzeilen gemacht. »Und von einem Taxiunternehmen. Wenn Sie wollen, können Sie nachsehen«, ergänzte sie. »Ich habe alles in den Papierkorb geworfen. Und dabei habe ich den Brief für Signor Trantemento gesehen.«
    »Er lag im Papierkorb?«
    Sie nickte. »Da drüben, neben dem Tisch. Das kommt hin und wieder vor. Die Leute nehmen ihre Post heraus und werfen alles weg, was sie nicht interessiert. Früher haben sie alles auf den Boden geworfen, deshalb habe ich den Papierkorb aufgestellt. Manchmal passen sie nicht auf und werfen versehentlich zu viel weg.«
    »Ist das Signor Trantemento öfter passiert?«
    »Nein. Nicht öfter. Aber er wurde allmählich alt, Sie verstehen? Darum habe ich beschlossen, ihm den Brief zu bringen.«
    »Und die Post? Wie wird die zugestellt? Hat der Briefträger einen Schlüssel?«
    Marta sah ihn an, als wäre er beschränkt. Wie viele Schlüssel müsste ein Briefträger in diesem Fall mit sich herumtragen?
    »Der wirft alles durch den Schlitz in der Haustür«, sagte sie. »Und ich verteile die Briefe dann auf die verschiedenen Briefkästen.«
    »Sie haben also einen Generalschlüssel? Für alle Briefkästen?«
    Sie nickte. »Früher hat sich jeder seine Briefe selbst herausgesucht. Aber da gab es dauernd Verwechslungen. Also habe ich das Sortieren übernommen, vor zehn Jahren ungefähr. Mir macht das nichts aus.« Marta zuckte mit den Achseln und schüttelte den Kopf. »Viel mehr gibt es nicht zu sagen. Ich bin nach oben gegangen. Dann habe ich das Blut gesehen, das unter der Tür hervorkam. Ich habe versucht, die Tür zu öffnen, und weil sie nicht abgeschlossen war, konnte ich sie aufdrücken. Und da lag er, direkt dahinter.«
    »Haben Sie ihn berührt? Nach seinem Puls gefühlt?«
    Sie zögerte ganz kurz. »Ja«, sagte sie schließlich. »Ich habe meinen Finger auf seinen Hals gelegt. Er war tot. Also bin ich wieder nach unten gegangen und habe angerufen. Dann habe ich gewartet.«
    »Hier unten?«
    »Genau hier. Wo ich jetzt stehe.«
    »Und hat irgendjemand das Haus betreten oder verlassen, bevor der erste Polizist eintraf?«
    »Nein. Niemand. Es hat nur eine Viertelstunde gedauert. Der Krankenwagen und die Polizei kamen mehr oder weniger gleichzeitig.«
    Pallioti nickte. »Haben Sie ein Handy?«
    Das brachte sie tatsächlich zum Lächeln. Ein kleines Schmunzeln zupfte an ihren Mundwinkeln.
    »Sie sind also alle

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