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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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stand offen. Der Leichnam des alten Mannes lag direkt dahinter.
    Das Team von der Spurensicherung trat immer wieder über den Blutstrom hinweg, der sich unter der Tür durchgezwängt hatte und jetzt auf dem kalten Boden erstarrte. Die Gerichtsmedizinerin kniete neben dem Leichnam. Das Gleißen der Scheinwerfer fing sich in ihrem weißen Papieroverall und ließ sie aussehen wie einen Eisbär, der über seiner Beute wacht.
    »Nur herein. Steigen Sie einfach drüber.«
    Sie sah auf und winkte sie in die Wohnung. Hinter dem Leichnam erstreckte sich der Flur bis ans andere Ende des Hauses, wo Pallioti eine Terrassentür erkennen konnte, die offenbar auf einen Balkon führte. Enzo machte den Anfang, setzte in einem großen Schritt über den Toten hinweg und tappte auf dem abgewetzten Orientteppich den Flur entlang. Er warf einen Blick auf den Balkon, streckte dann den Kopf in das erste Zimmer und verschwand gleich darauf im nächsten.
    Pallioti folgte ihm, blieb aber im Flur stehen, der auf beiden Seiten von halbhohen Bücherregalen gesäumt war. Darüber hingen Drucke und Gemälde, größtenteils in schweren Goldrahmen, an altmodischen Samttapeten, die den Flur in einen düster gemusterten Tunnel verwandelten. Die Luft roch muffig, so als wären die Glastüren am anderen Ende länger nicht geöffnet worden. Sofort stellte sich klaustrophobische Beklemmung ein.
    Die Gerichtsmedizinerin nickte und sah zu ihm auf.
    »Ein Schuss in den Hinterkopf«, sagte sie. »Ich würde sagen, vor drei, vier Stunden.«
    »Aha.« Pallioti besah sich den Leichnam. »Irgendwann am Spätvormittag hat er die Tür geöffnet, sich umgedreht, und sein Besucher hat ihn erschossen?«
    Die Antwort der Gerichtsmedizinerin überraschte ihn.
    »Das glaube ich nicht.«
    Sie deutete auf die dünne, verschrumpelte Gestalt. Trantemento trug braune Zwillichhosen, Samtpantoffeln und eine Strickjacke.
    »Sehen Sie sich den Mann an«, sagte sie. »Wie groß ist er wohl? Eins achtzig?« Sie beugte sich vor und stupste mit dem Latexfinger gegen seinen Hinterkopf. »Ich kann es erst mit Sicherheit sagen, wenn ich ihn auf dem Sektionstisch habe, aber ich glaube, der Einschuss erfolgte von oben. Bestenfalls auf gleicher Höhe. Das bedeutet, dass Sie es mit einem sehr großen Mörder zu tun hätten. Über eins achtzig.«
    »Oder er hat sich aus irgendeinem Grund gebückt, vielleicht, um etwas aufzuheben, und wurde dabei erschossen.«
    »Vielleicht«, bestätigte sie. »Das wäre zumindest eine Möglichkeit. Lassen Sie mich noch ein paar Fotos machen, dann drehe ich ihn um.«
    Während sie in ihrer Tasche nach der Kamera suchte, stieg Pallioti ein zweites Mal über die Beine und den ausgestreckten Arm des Mannes. Er untersuchte die Wohnungstür. Sie sah nicht so aus, als hätte sich jemand gewaltsam Zugang verschafft. Es war nicht einmal ein Kratzer zu sehen.
    Wieder stieg er über den Toten und trat in den Flur. Er merkte, wie er wütend wurde. Man konnte die Menschen, vor allem alte Menschen, noch so oft warnen, sie öffneten trotzdem jedem die Tür. Genau das machte sie so angreifbar – und jene, die diese Schwäche ausnutzten, so widerwärtig. Wie schwer war das wohl gewesen? Ins Haus einzudringen, hier heraufzuspazieren, an die Tür zu klopfen und zu behaupten, man sei der Gasmann oder der Fernsehtechniker oder weiß Gott wer? Danach brauchte es nur noch einen Schuss, und schon stand einem die ganze Wohnung offen. Ehrlich gesagt wusste er nicht, warum das nicht viel öfter passierte.
    In der Erwartung, ein verwüstetes Wohnzimmer vorzufinden, trat er durch die Tür und blieb stehen. Es war kein schöner Raum. Hier oben drückten die schweren Kastanienbalken die Decke zu tief herunter, als dass es noch elegant gewirkt hätte. Trotzdem war der Raum groß, er zog sich parallel zum Flur fast über die gesamte Länge der Wohnung. Der Blick aus den Fenstern über die Dächer der Stadt war selbst im Regen beeindruckend. Vor ihm erhob sich Santa Croce und dahinter die Hügelkette auf der anderen Seite des Arno. Alles wirkte aufgeräumt. Mitten auf einem dunklen, schweren Esstisch stand ein Silbertablett mit einer ganzen Familie von gegossenen Silberfüchsen. Ein silberner Brieföffner lag auf dem Schreibtisch offen neben einer Lupe mit, so nahm er an, Elfenbeingriff.
    »Im Schlafzimmer gibt es einen Safe«, sagte Enzo, der hinter ihm ins Zimmer getreten war. »Unberührt, soweit ich feststellen kann.« Pallioti drehte sich um. »Aber ich konnte keine Brieftasche und

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