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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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haben. »Wie du weißt«, murmelte er, »habe ich alle Hände voll mit dieser Betrugsgeschichte zu tun. Sehr komplex. Natürlich«, meinte er dann, »würde ich gern alles in meiner Macht Stehende versuchen. Aber wenn ich das sollte, hätte ich nicht viel – nein, eigentlich gar keine – Zeit für etwas …«
    »Ja«, fiel ihm der Bürgermeister ins Wort, der nicht auf den Kopf gefallen war. »Schon gut, schon gut. Ja, ja, mein Freund. Ich verstehe. Voll und ganz. Wir können auch jemand anderen da hinschicken. Es gibt bestimmt viele, die an deiner Stelle einen Vortrag über Polizeiarbeit halten können. Allerdings wird keiner davon so gut reden können wie du.«
    »Vielleicht doch«, meinte Pallioti dazu.
    Er sah aus dem Fenster und lächelte. Einen Moment lang sah sein Gesicht in dem grauen, wässrigen Licht, das der Regen zurückwarf, aus wie das eines Fuchses.
    Er hatte nicht gelogen. Er war gerade dabei, die notwendigen Unterlagen für eine Verhandlung über einen groß aufgezogenen Betrug zusammenzustellen und aufzubereiten. Nicht, dass das für Giovanni Trantemento noch etwas bedeutet hätte. Er würde die Routinearbeiten an dem Fall Enzo Saenz überlassen und die Angelegenheit aus der Ferne überwachen. Mehr wäre nicht nötig. Diese Betrugssache war ungeheuer komplex. Dieser Fall hingegen – ein alter Mann, der in seiner Wohnung ermordet worden war – war zwar bestimmt abscheulich, möglicherweise hochexplosiv und eindeutig jene Art von Mord, die die Presse liebte – Held überlebt Nazikugeln und wird im eigenen Wohnzimmer abgeschlachtet! – , aber er war eindeutig nicht komplex. Im Gegenteil, Pallioti tippte schon jetzt insgeheim darauf, dass sie es mit einem fehlgeschlagenen Einbruch zu tun hatten. Wenn er dafür sorgte, dass der Fall schnell und bündig aufgeklärt wurde, würde er damit nicht nur dem Bürgermeister einen Gefallen erweisen und Schaden von der Stadt abwenden, es wäre auch eindeutig eine gute Tat. Eigentlich war es das Mindeste, was er für jene alten Burschen tun konnte, die, ungeachtet der zähen, stundenlangen Fernsehberichte, vor sechzig Jahren mit einer Tapferkeit gekämpft hatten, die für ihn einfach unvorstellbar war.
    »Certo« , sagte er wieder. »Natürlich. Es ist mir ein Vergnügen.«
    »Danke.« Der Bürgermeister seufzte. »Weißt du«, ergänzte er, als hätte er Palliotis Gedanken gelesen, »manchmal denke ich tatsächlich an diese Partisanen.«
    »Ja.«
    Pallioti vermutete, dass praktisch jeder Mann in Italien von Zeit zu Zeit an diese heiligen Kinder der Nation dachte. Dass es kaum einen Mann gab, der nie in der Nacht wach gelegen, an die Decke gestarrt und sich gefragt hatte – hätte ich das auch getan? Hätte ich den Mut dazu gehabt?
    »Die meisten von ihnen waren gerade halb so alt wie wir. Wenn überhaupt. Eigentlich waren es Kinder.« Der Bürgermeister klang plötzlich müde. »Mal ganz unter uns, mein Freund«, sagte er, »ich habe den Verdacht, wir haben die Welt, für die sie gekämpft haben, ganz schön verkommen lassen. Also sollte es das Mindeste sein, dass wir den Ganoven finden, der einen von ihnen umgebracht hat, meinst du nicht auch?«

    Enzo Saenz wartete schon auf Pallioti, als der aus dem Lift trat, der ihn nahezu lautlos fünf Stockwerke abwärtsgetragen und in der jungfräulich neuen Tiefgarage ausgespuckt hatte, wo sein Wagen stand. Die unterirdischen Tiefen des frisch renovierten Polizeigebäudes waren nicht weniger beeindruckend als der überirdische Teil. Unter den anschlagsicheren, schusssicheren, ganz allgemein terroristen-, aufruhr- und racheaktionssicheren Büros und Besprechungsräumen lag ein gassicheres, virensicheres, massenvernichtungswaffensicheres Labyrinth, in dem nicht nur die Einsatzfahrzeuge untergebracht waren, sondern auch die Labors und Waffenkammern, Schießstände und Archive und weiß Gott was sonst noch. Pallioti hatte den Verdacht, dass er irgendwann jemanden hier herunterschicken würde und danach ein Suchkommando zusammenstellen müsste, um ihn wieder ans Tageslicht zu holen. Allerdings nicht Enzo Saenz. Enzo würde selbst aus der Hölle nach Hause finden.
    Heute trug er ein Exemplar aus seiner Lederjackenkollektion und dazu einen verwegenen Dreitagebart. In Kombination mit seinem Pferdschwanz und der römischen Nase sah er ausgesprochen mittelalterlich aus. Eigentlich ein passender Vergleich. Für Pallioti war Enzo so etwas wie ein Handlanger der Medici – der stille, junge Vertraute, der in einer dunklen Gasse

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