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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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den von Ihnen unterbreiteten Vorschlag zur Vervollständigung meiner Kollektion überdacht und bin nach gründlicher Erwägung zu dem Schluss gekommen, dass dies tatsächlich die beste Vorgehensweise ist, da – wie Sie richtig bemerkten – ich nicht in der Lage bin, so oft zu reisen, wie es notwendig wäre, um potenzielle Neuerwerbungen in Augenschein zu nehmen. Außerdem umgehen wir dadurch, wie Sie selbst bemerkten, die zunehmend impertinente Wissbegier der »verflixten Kontrollen am Flughafen« – mögen sie in der Hölle schmoren! Daher, und weil ich Ihren Geschmack für unbestechlich und meinem sehr, sehr ähnlich halte, möchte ich Ihnen Vollmacht erteilen, in meinem Namen zu handeln. Ich sehe voller Spannung einer langen und fruchtbaren Zusammenarbeit zur Förderung unserer gemeinsamen Leidenschaft entgegen.
    Hochachtungsvoll
    Der Brief war auf ein einzelnes Blatt Papier getippt, das dem eingeprägten Briefkopf zufolge einem gewissen David, Lord Eppsy, Eppsy House, 15 Pont Street, London SW1 gehörte. Pallioti wollte beim besten Willen nicht in den Kopf, warum die Menschen, je fantasievoller ihre Titel waren, umso unfähiger schienen, leserlich zu unterschreiben.
    Mit einem Stich der Enttäuschung steckte er den Brief wieder ein. Er hatte nicht ernsthaft erwartet, dass er ihm einen magischen Hinweis auf Trantementos Mörder liefern würde. Trotzdem hatte er sich etwas Interessanteres erhofft als ein kleines Liebesbriefchen zwischen zwei Pornografie-Sammlern.
    Natürlich, dachte er, während er den Brief noch einmal überflog, hätte David, Lord Eppsy auch auf ihre gemeinsame Leidenschaft fürs Briefmarkensammeln anspielen können. Aber der Hinweis und der folgende Fluch auf die Kontrollen am Flughafen ließen das nicht vermuten. Zwei schmutzige alte Männer, dachte er säuerlich. Vor allem das enttäuschte ihn so. Die Engländer – gut, denen mochte so etwas gefallen. Aber irgendwie machte ihn die Vorstellung traurig, dass ein großer Held des Widerstands, einer jener zielsicheren, viel zu dünnen Jungen mit einem Gewehr über der Schulter, ein so schmähliches Ende genommen haben sollte – als einsamer alter Kerl, der sein Leben in einer stickigen, überladenen Wohnung fristete, umgeben von exquisit gezeichneten sodomitischen Darstellungen.
    Er sah auf die Uhr. Die Obduktion sollte in einer halben Stunde vorgenommen werden. Er hatte sich bereit erklärt, ihr beizuwohnen, damit Enzo freie Hand hatte, sein Team zusammenzustellen und loszulegen. Merkwürdigerweise hatte Pallioti, dem bekanntlich schon schwummrig wurde, wenn er einen Finger verpflastern musste, Obduktionen nie besonders unangenehm gefunden. Der Umgang mit verletzten Lebenden fiel ihm schwer, aber mit Toten hatte er keine Probleme. In deren Augen stand kein Schmerz mehr.

    »Es war nicht nur in seinem Mund.«
    »Oh.«
    Die Gerichtsmedizinerin sah auf und nickte.
    »Genau. Oh. Er hatte auch Salz im Magen, in der Speiseröhre und in der Kehle. Sogar ziemlich viel. So viel«, erläuterte sie, »dass er wahrscheinlich daran erstickt wäre, wenn man ihn nicht erschossen hätte.«
    »Der Mörder hat ihn also gezwungen …« Pallioti schüttelte den Kopf. Die Vorstellung war verstörend. Sie war in einer Art und Weise brutal, wie sie ihm bis dahin nicht untergekommen war. Er hatte Erstochene, Erschossene, Erwürgte gesehen – alles Mögliche. Aber hier hatte er es mit einer verschrobenen, symbolischen – und sehr persönlichen – Grausamkeit zu tun, bei der es ihn fröstelte.
    »… es zu essen«, vollendete die Gerichtsmedizinerin den Satz. »Sein Mörder hat ihn Salz essen lassen.«
    »Wie viel?«
    Sie legte den Kopf schief und betrachtete nachdenklich den ausgeweideten Leichnam, der offen auf dem Tisch vor ihr lag.
    »Eine ganze Menge«, sagte sie. »In meinem Bericht werde ich die Menge natürlich genauer bestimmen. Aber schätzungsweise mindestens ein Pfund. Vielleicht noch mehr.« Sie sah ihn an. »Es muss grässlich gewesen sein. Aber man glaubt gar nicht, wozu die Menschen fähig sind, wenn sie Todesangst haben.«
    »Was haben Sie sonst noch?«
    Pallioti war sich nicht sicher, ob er es wirklich erfahren wollte, aber er musste die Frage stellen.
    »Nicht viel.« Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Kampfwunden. Keine einzige. Was mir ein bisschen merkwürdig vorkommt. Ich weiß nicht, warum, aber es sieht so aus, als hätte er das Salz mehr oder weniger freiwillig gegessen. Als hätte er nicht einmal versucht, sich zu wehren. So, wie

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