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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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verstreut.
    Ich stand da, den Blick auf die kleinen weißen Flecken gerichtet, und plötzlich begriff ich – so wie einem schlagartig etwas begreiflich wird, wenn man übermüdet ist. Bis dahin hatte ich keinen Gedanken an solche Dinge verschwendet, das hatte keiner von uns getan. Aber jetzt ist mir klar, dass es den Banducci nichts hilft, wenn sie zur Messe gehen. Oder dass Signor Banducci in der Partei ist und dass sie sich mit Mussolini fotografieren ließen. Den Faschisten waren solche Sachen vielleicht wichtig, aber den Deutschen sind sie egal. Die Villa der Banducci ist nicht zufällig in Flammen aufgegangen. Sie ging in Flammen auf, weil sie Juden sind.
    Ich schämte mich so über meine Dummheit, dass ich Lodovicos Bild in die Nachttischschublade verbannte, weil ich seinen Blick nicht ertrug. Dann hörte ich seine Stimme im Dunkeln flüstern, hörte ihn sagen, dass er mich verstand, dass jeder von uns Fehler macht – dass jeder manchmal überängstlich und abweisend und dumm ist – und dass er mich liebt und ich ihm alles bedeute. Also holte ich das Bild wieder hervor, rollte mich ein, hielt mich an meinem Kopfkissen fest und schloss die Augen. Morgen, dachte ich. Morgen werde ich ihr alle meine Haarklammern schenken. Morgen werde ich alles wiedergutmachen.
    Aber als ich am nächsten Morgen aufwachte, waren die Banducci verschwunden.
    Ungefähr eine Woche danach fielen mir erstmals die Löcher entlang der Straße am Lungarno auf. Darin sind Minen vergraben. Die Deutschen haben auch die Brücken vermint. Meine Freundin, die Krankenschwester, die nahe dem Campo di Marte wohnt, flüsterte mir später zu, sie hätte gehört, dass auch die Gas- und Elektrizitätswerke und die Telefonämter vermint worden seien. Falls es die Alliierten je bis hierher schaffen sollten, wollen die Deutschen ihnen Florenz keinesfalls überlassen. Eher werden sie die Stadt zerstören. Sie wollen auf ihrem Rückzug nur verbrannte Erde hinterlassen.
    Inzwischen wurde ein neues Gesetz erlassen, das alle Juden zu feindlichen Ausländern erklärt. Ihr Besitz darf konfisziert werden, und sie selbst werden deportiert. Nachts verlassen Züge mit verplombten Waggons die Bahnhöfe und rattern nach Norden. Meine Freundin erzählt, dass sie ab und zu an den Gleisen Papierschnitzel mit einem Namen darauf findet. Sie werden durch die Schlitze zwischen den Latten gedrückt, damit jemand Bescheid weiß.
    Wir haben mehrere jüdische Patienten. Gestern rief die Oberschwester alle Stationsschwestern zusammen und erklärte uns, was wir zu tun hätten – wir sollen ihre Habseligkeiten durchsuchen, alles mit ihrem Namen darauf an uns nehmen, auch Bilder oder Briefe, einfach alles, wodurch man sie identifizieren könnte, und die Sachen dann zu ihr bringen. Sie wird die Sachen persönlich zum Verbrennungsofen hinunterbringen und den Flammen übergeben. Es gibt Berichte, dass die Deutschen sogar die Klöster durchsuchen. Niemand glaubt, dass sie vor den Krankenhäusern haltmachen werden. Falls sie kommen, sollen wir uns ahnungslos stellen und sie direkt zu ihr schicken. Sie ist keine große Frau, aber als sie das sagte, wich ich vor ihrem Blick unwillkürlich einen Schritt zurück.
    Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, wurde vor ein paar Tagen Pontassieve bombardiert. Ein weiterer fehlgeschlagener Versuch, einen Bahnhof zu treffen, der, wie üblich, unbeschädigt blieb. Im Gegensatz zu einer ganzen Reihe von Häusern in der Stadt. Allmählich werden die Witze über die schlechten Brillen der Alliierten schal. Einige der Überlebenden wurden bei uns eingeliefert. Einer, ein Mann mit schweren Verletzungen in Brust und Bauch, brauchte Stunden zum Sterben. Ich saß bis in die Nacht bei ihm, hielt seine Hand und spürte, während es draußen immer dunkler wurde, wie seine Hand erst klamm, dann heiß und zuletzt wieder klamm wurde. Er starb kurz vor dem Abendessen, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Ich holte seine Sachen aus dem Schrank – eine abgetragene Jacke, ein Paar Schuhe, eine geflickte Wollhose. Inzwischen gehört es zu meiner Arbeit, die Taschen der Toten zu durchsuchen und in meine Bücher nicht nur die Anzahl der Laken und Decken, sondern auch die Namen der Verstorbenen einzutragen. Dann muss ich ihre Habseligkeiten verpacken, sie mit einem Anhänger versehen, als würden sie auf einem Marktstand feilgeboten, und dafür sorgen, dass sie an die Richtigen ausgehändigt werden, wenn die Familien zu uns kommen.
    Das ist das Schlimmste an meiner

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