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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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Frage nicht stellen wollte.
    »Vier.«
    Es blieb länger still, dann sprach ich es endlich aus. »Juden?«
    Issa nickte. Ich spürte, wie sich in meinem Magen etwas zusammenzog. In den Wochen, seit die Banducci geflohen waren, hatte sich vieles geändert. Klöster wurden durchsucht. Krankenhäuser wurden durchsucht. Ganz normale Menschen versteckten sich wie Ratten und wurden gejagt wie Ratten, nur weil angeblich anderes Blut in ihren Adern floss. Natürlich wusste ich das. Wir alle wussten es. Aber jetzt geschah es auch hier, in unserer Stadt, und Issa bat mich, ihnen die Hand zu reichen – sie bis zum Ellbogen in den kalten, widerwärtigen Schleim zu stoßen, in dem uns die Deutschen mit ihrem idiotischen »Reinheitswahn« um jeden Preis ertränken wollen.
    »Sie sind schon aus Rom hierhergeflohen«, sagte sie. »Zu Fuß, Cati. Seither verstecken wir sie. Aber jetzt müssen wir sie wegbringen.« Sie sah mich an. »Weißt du, wohin diese Züge fahren?«, fragte sie.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste es und wusste es nicht. Ich wusste nicht, ob ich es wissen wollte. Aber ich wusste genau, dass Issa mir keine Wahl lassen würde.
    »Ins Lager«, sagte sie.
    »Lager.« Das Wort klang so harmlos aus meinem Mund. Wie eine Sommerfrische für gesunde Kinder.
    »Nicht ins Arbeitslager, Cati«, sagte Issa. »Nicht wie unsere Soldaten. Die Juden kommen ins Vernichtungslager. In Deutschland. Die Deutschen bringen sie um. So viele sie nur können. So schnell sie nur können. Alte Männer, Frauen, Kinder. Einfach alle.«
    Ich schloss die Augen und sah den roten Lippenstift – das Clownslächeln auf dem Kindergesicht. Als ich sie wieder aufschlug, schienen die Wände näher gerückt zu sein und Issa und mich zusammenzupressen.
    »Willst du sie über die Berge bringen?«
    Sie nickte.
    »Werden sie überleben?«
    Die Kriegsgefangenen, die sie bis dahin geführt hatte, waren Soldaten gewesen, durchweg junge Männer. Die Berge, wo im November schon Schnee lag – ich sah Issa an und las die Antwort von ihrem Gesicht ab. Dass sie noch weniger Chancen hatten, den Krieg zu überleben, wenn sie hierblieben.
    »Wann?«, fragte ich.
    Ich spürte Issas Blick wie ein Streicheln.
    »Morgen«, sagte sie schließlich. »Morgen Abend.«

8. Kapitel
    »Eine Frau Doktor Eleanor Sachs.« Guillermo klatschte den Nachrichtenzettel in Palliotis ausgestreckte Hand, als wäre es ein Wettschein. »Dreimal in den letzten anderthalb Stunden.«
    Es war Sonntag und nach vier Uhr nachmittags. Es war wärmer als in den vergangenen Tagen. Draußen schlenderte die Stadt auf den Sonnenuntergang zu, begab sich gemächlich zu einem Aperitif oder einem frühen Abendessen. In Palliotis Büro gab es diesen Luxus nicht. Eben war eine zähe und nicht besonders ergiebige Konferenz mit dem Team, das den Betrugsfall aufklären sollte, zu Ende gegangen. Pallioti sah auf die kleinen Zettel, die ihm sein Sekretär überreicht hatte, und fragte sich, welche neuen Probleme sie wohl bringen mochten.
    »Wer ist sie?«
    Guillermo zog die Schultern hoch und beugte sich wieder über den Computer.
    »Das wollte sie mir nicht sagen. Sie hatte Ihre Durchwahl«, erklärte er. »Deshalb dachte ich, Sie wüssten Bescheid.«
    Pallioti seufzte. Er wollte schon darauf hinweisen, dass er wohl kaum gefragt hätte, wenn er Bescheid gewusst hätte. Dann verkniff er sich die Bemerkung. Nach einem durchgearbeiteten Wochenende war niemand besonders gut gelaunt, außerdem hatte Dottoressa Sachs, wer sie auch sein mochte, Guillermo eindeutig verärgert. Oder aber, dachte Pallioti, es war einfach das passende Ende zu einer verkorksten Woche.
    Kaum jemand kannte seine persönliche Durchwahl. Saffy zählte natürlich dazu. Er kramte in seiner Erinnerung, um festzustellen, ob sie erwähnt hatte, dass sie seine Nummer an eine Freundin oder Geschäftspartnerin weitergegeben hatte. Ihm fiel nichts ein. Der Name Dr. Eleanor Sachs sagte ihm nichts.
    »Wissen Sie, woher sie kommt, von welcher Organisation?«, fragte er. »Ist sie vom Krankenhaus?«
    Noch während er die Frage aussprach, legte sich eine eisige Hand auf seine Schulter. Er ermahnte sich, nicht albern zu werden. Wenn Saffy oder Tommaso etwas zugestoßen wäre, hätte Leonardo persönlich angerufen. Auf Palliotis Handy. Außerdem hatte er Saffy erst zwei Tage zuvor gesehen, und da war sie kerngesund gewesen. Nicht, dass das etwas zu bedeuten hatte. Ein Anruf in Genua hatte ihn für alle Zeiten von diesem Irrglauben kuriert.
    »Das wollte sie

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