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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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so?«
    »Seit einundvierzig Jahren.«
    »Gütiger Gott.«
    Enzo nickte.
    »Und nach all den Jahren«, Pallioti konnte das kaum glauben, »hatte Signor – Pavlov, oder wie er heißt …«
    »Pavlakoff.«
    »… keine persönliche Meinung zu Trantemento?«
    »Das habe ich nicht gesagt.« Enzo schüttelte den Kopf. »Er konnte nur nicht sagen, ob Trantemento dort Freunde gefunden hatte oder nicht – und ja, ich habe mir die Mitgliederliste geben lassen, und wir gehen sie gerade durch. Signor Pavlakoff sah sich nicht in der Lage, sich zu seinen sozialen Kontakten zu äußern. Allerdings wusste er einiges zu Antenors Qualitäten als Schachspieler zu sagen.«
    Pallioti sah ihn fragend an. »Antenor?« Er fragte sich, ob ihm etwas Entscheidendes entgangen war. »Wer verflucht noch mal ist Antenor?«
    »Antenor«, wiederholte Enzo und verkniff sich ein Lächeln, »war Giovanni Trantementos Pseudonym.«
    »Sein Pseudonym?«
    Enzo nickte. »Sein Turniername. Offenbar spielen sie alle unter einem falschen Namen. Vielleicht sollte ich lieber sagen, sie spielen unter ihrem ›wahren‹ Namen.«
    Natürlich, dachte Pallioti und gab sich Mühe, nicht das Gesicht zu verziehen. Wie langweilig wäre ein Klub ohne falsche Namen?
    »Audax«, sagte Enzo. »Plato, Hadrian, Augustus. Ich glaube, es wurde auch Sokrates erwähnt. Und Vulkan. Hammer der Götter. Wenn man bedenkt, dass es Männer sind und dass das Durchschnittsalter bei fünfundsiebzig liegt, ist es richtig niedlich.«
    Philosophen, Kaiser, Tugenden und Götter. Warum auch nicht?, dachte Pallioti. Gewöhnliche alte Männer setzten sich an einen kleinen Tisch, schoben Spielfiguren über ein Brett und verwandelten sich für ein paar Stunden in wagemutige, unbesiegbare, weise Helden.
    »Leider«, ergänzte Enzo, »war Signor Pavlakoff zwar äußerst dankbar für Giovanni Trantementos Scheck, dank dessen er eine neue Beleuchtung installieren konnte – und vermutlich aufrichtig schockiert, dass der alte Knabe tot war –, aber auch ziemlich ungnädig, was Antenor betraf.«
    Pallioti setzte sich auf. »Inwiefern ungnädig?«
    Enzo schüttelte den Kopf, auch um Pallioti anzudeuten, dass er sich nicht allzu viel erhoffen sollte. »Ungnädig insofern, als er ihn für einen eher durchschnittlichen Spieler hielt.«
    »Selbst nach einundvierzig Jahren?«
    Enzo lachte. »Ich weiß«, sagte er. »Genau so habe ich auch reagiert. Aber er klärte mich auf. Schach kann man nicht lernen.« Er hob die Finger zu ironischen Anführungszeichen. »Es ist eine Gabe.«
    »Und Antenor hatte diese Gabe nicht?«
    »Offenbar nicht. Laut Signor Pavlakoff war er erfahren und, wenn ich mich recht erinnere, ›geradlinig‹. Möglicherweise war der zweite Begriff auch ›gewissenhaft‹. Aber von Inspiration sagte er nichts.«
    »Das nenne ich ein vergiftetes Lob.«
    »Genau.« Enzo sah auf seine Uhr, und seine Miene verriet, dass er allmählich ins Büro zurückkehren wollte. »Genau mein Gedanke. Keine Angst«, meinte er noch, während sie beide aufstanden. »Ich glaube nicht, dass Signor Pavlakoff den Mitgliedern seines Klubs offenbart, wie er sie einschätzt. Ich hatte den Eindruck, dass er andernfalls bald keine Mitglieder mehr hätte.«
    Nein, dachte Pallioti, wahrscheinlich nicht. Meistens wussten die Betroffenen so etwas trotzdem. Oder sie hatten zumindest eine vage Ahnung. Und oft deutlich mehr als das. Die Menschen kannten sich meist wesentlich besser, als es ihnen der Volksmund zutraute.
    »Ach, übrigens«, fragte er schnell. »Gibt es etwas Neues über die Neonazis?« Er hatte Enzo angerufen, sobald er Saffys Galerie verlassen hatte, und dabei erfahren, dass Enzo im Gegensatz zu ihm sehr wohl Zeitung gelesen hatte.
    »Ich habe mit dem Reporter gesprochen.« Enzo schlüpfte in seine Lederjacke. »Er denkt darüber nach«, sagte er. »Er will erst einmal mit seiner Quelle sprechen.«
    »Glauben Sie, seine ›Quelle‹ weiß tatsächlich etwas – oder war das nur das Hirngespinst des Monats, damit sie was für die Kommentarspalte haben?«
    Pallioti versuchte, nicht zynisch zu klingen, und versagte jämmerlich.
    Enzo zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Er ist kein schlechter Typ. Hat mir schon öfter geholfen.«
    Während seiner Zeit bei den »Engeln«, wie die Abteilung für verdeckte Ermittlungen inoffiziell genannt wurde, hatte Enzo ein breites Netz von Verbindungen quer durch die ganze Stadt geknüpft. Viele davon sub rosa . Pallioti betrachtete ihn genauer, musterte die ziemlich

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