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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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auch nicht sagen.«
    Guillermo hob den Kopf und sah ihn an, als wäre das Palliotis Schuld.
    »Na schön, hat sie überhaupt etwas gesagt?«
    »Nichts. Kein Wort.« Guillermo zuckte mit den Achseln. »Sie bestand darauf, nur mit Ihnen persönlich zu sprechen. Ich bin für sie Luft.«
    »Aber sie kannte meinen Namen?«
    »Dottore.« Guillermo sah zu ihm auf. »Sie sind im Fernsehen. Und wenn Sie mal nicht im Fernsehen sind, lassen sich die Zeitungen über Sie aus. Normalerweise neben einem Bild mit Unterschrift. Alle Welt kennt Ihren Namen.«
    Auch wahr. Pallioti nickte.
    Wieder sah er auf die Zettel. Die darauf angegebene Nummer war eine Handynummer. Die Nachricht lautete: Jederzeit zu erreichen. 24 Stunden. Menschen, die sich jederzeit anrufen ließen und keinesfalls mit seinem Sekretär sprechen oder ihm zumindest den Grund ihres Anrufs nennen wollten, waren seiner Erfahrung nach so gut wie immer Journalisten.
    »Sie hatte einen amerikanischen Akzent.« Guillermo ahnte, was ihm im Kopf herumging. »Obwohl sie flüssig Italienisch sprach«, ergänzte er. »Trotzdem bin ich mir sicher. Mein Cousin ist mit einer Amerikanerin verheiratet.«
    Pallioti schnitt eine Grimasse. Ein einziges Mal hatte er, kurz nach seinem Umzug nach Florenz und nach der Aufklärung eines ziemlich spektakulären Falles, den Fehler gemacht, einer amerikanischen Zeitung ein Interview zu geben. Einer Lady von der New York Times. Sie hatte teure Schuhe getragen und ihm mit blökender Stimme verschachtelte und komplizierte Fragen gestellt. Das Ergebnis war grauenvoll gewesen. In der Sonntagsausgabe war ein Bild von ihm abgedruckt worden mit der Unterschrift Arbeitet Italiens heißester Polizist in Europas schönster Stadt?.
    Er schauderte, wenn er nur daran dachte. Einen Monat lang hatte er sich nicht in der Cafeteria blicken lassen können. Der Bürgermeister hatte ihm nachgepfiffen. Pallioti ließ die Zettel in Guillermos Papierkorb segeln und wollte zur Tür hinaus.
    »Gehen Sie heim?«
    Pallioti sah auf seine Uhr. Es war fast dunkel. Er würde durch die Hintertür und den Liefereingang hinausschleichen können.
    »Ja«, bestätigte er und schlug den Mantelkragen hoch. »Gehen Sie auch nach Hause, Guillermo. Trinken Sie was und legen Sie die Füße hoch.«
    Guillermo zog die Brauen hoch und schaltete seinen Computer mit großer Geste aus, die andeuten sollte, dass ihm etwas ganz anderes vorschwebte.

    30. November 1943
    Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte irgendwie ahnen müssen, dass etwas nicht stimmt. Vor allem aber hätte mir klar sein müssen, dass Issa sich nicht verändert hatte. Dass sie vielleicht in Carlo verliebt, aber deshalb nicht weniger skrupellos war. Sie würde alles tun, sogar mich anlügen, um zu erreichen, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte.
    Aber ich ahnte nichts. Ich durchschaute sie nicht. Im Gegenteil, ich kam überhaupt nicht auf den Gedanken. Also tat ich das, was ich für notwendig hielt, als ich am nächsten Morgen meinen inzwischen fast regelmäßigen Gang ins Archiv antrat. Ich stahl vier Dokumentensätze und füllte sie aus. Einen für einen Mann in den Fünfzigern, zwei für zwei zwölfjährige Knaben – offensichtlich Zwillinge – und einen für ihre Mutter, eine fünfunddreißigjährige Frau. Ich beschloss, auch sie zu Verbrennungsopfern zu machen, Opfer der fortgesetzten alliierten Bombenangriffe. Auf Pontassieve. Nein, würde ich Dieter erklären, normalerweise schickten wir keine Zivilisten nach Fiesole, aber im Krankenhaus konnten wir für diese Leute nichts mehr tun. Ich würde ihm das mit trauriger, bedeutungsschwerer Miene erklären, damit er glaubte, dass mindestens zwei von ihnen, vielleicht sogar die Kinder, nicht überleben würden. Damit würde ich hoffentlich sein Mitleid wecken, sodass er die Türen möglichst schnell wieder schloss. Immer wieder ging ich im Kopf die Szene durch, während ich mein Fahrrad durch das dünne Schneelaken schob, das sich an diesem Abend über die Stadt gelegt hatte. Es war gerade dunkel geworden. Die Schneeflocken fielen geradezu beschaulich, sie trieben wie Blütenblätter durch die Luft. In einem anderen Leben hätte ich vielleicht versucht, sie mit der Zunge aufzufangen.
    Issa hatte mich zu einem Kloster in San Frediano bestellt. Dort würde Il Corvo mit dem Krankenwagen auf mich warten. Der Konvent war geschlossen. Wir würden die Nonnen nicht zu Gesicht bekommen. Unsere »Päckchen« würden in einem Nebengebäude auf uns warten. Seit unserer ersten

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