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Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Titel: Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas J. Schulte
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zur Abtei am See gehen und spätestens am nächsten Tag wieder zurück sein.
    Verwundert fragte sich Johanna, was Konrad am Laacher See wollte. Ob es mit Gregor zu tun hatte?
    Thomas stürmte an ihr vorbei. „Ich muss los, Pastor Heinrich wartet auf mich, den Brei hab ich gegessen!“
    Lächelnd schaute sie ihrem Sohn hinterher, der übermütig durch die Hoftür auf die Gasse rannte und über ein paar Löcher sprang. Michels T od hatte Thomas verändert. Er war verschlossen, trotzig und unnahbar geworden. Jetzt jedoch war er wie ausgewechselt. Noch vor wenigen Wochen hätte sie eine solche V erwandlung niemals für möglich gehalten. Johanna empfand tiefe Dankbarkeit gegenüber Konrad und natürlich auch gegenüber Heinrich, der mit seinen Übungen einen Zugang zu Thomas gefunden hatte. Mittlerweile saß Thomas abends sogar wieder am Tisch und blätterte in einem Buch, bemüht, einzelne Wörter stockend zu lesen.
    „Wusstest du, dass Pastor Heinrich eine Ausgabe von Hans Tal hoffers Fechtbuch hat? Schau her, hier sind sogar Zeichnungen, wie man einen Oberhau ausführt. Pastor Heinrich hat mir versprochen, wir beginnen mit den Übungen, sobald ich das Buch studiert habe.“
    Zunächst war sie besorgt gewesen, ob ein Fechtbuch die richtige Lektüre für einen Zwölfjährigen sei. Aber sie erkannte rasch, mit welcher Sorgfalt und Begeisterung Thomas Seite um Seite an schaute. Da Heinrich mehr und mehr dazu überging, seine Anweisungen auf Latein zu geben, begann Thomas sich auch dafür zu interessieren. Es wa r, als hätten Konrad und Heinrich für Thomas die Tür in eine neue Welt geöffnet. Johanna ging ins W aschhaus und nahm die Wäsche von der Leine. Sorgfältig faltete sie Konrads Hemden zusammen. Sie nahm den Stapel und ging quer über den Hof zu seinem Haus. Vielleicht würde sie heute seine Abwesenheit nutzen, um die Zimmer einmal gründlich zu putzen. Die Fensterlä den waren schon geöffnet, und auch durch die Tür fiel genug Licht in den Raum. Sie lief zur Truhe hinüber, in der Konrad seine Wä sche aufbewahrte. Die frisch gewaschenen Teile legte sie kurz auf dem Hocker ab, dann öffnete sie mit beiden Händen den schweren Truhendeckel. Mehr als einmal hatte sie die kunstvollen Schnitzereien und Intarsien bewundert.
    Nachher hätte Johanna nicht mehr sagen können, wie es dazu gekommen war. Beim Ö ffnen des Deckels hörte sie plötzlich das Schnappen eines Schlosses, und im Deckel sprang die Tür eines Geheimfaches auf.
    Natürlich hätte sie die Tür sofort wieder schließen sollen. Dies war Konrads Haus. Seine Truhe, seine Geheimnisse. Aber ihre Neugierde siegte. Behutsam öffnete sie das Geheimfach und starrte sprachlos auf seinen Inhalt. Vor ihr lagen, sorgfältig eingelassen in geschnitzten Aussparungen, die mit weinrotem Samt ausgeschlagen waren, ein Langschwert, ein Dolch und eine Art Medaillon, etwas kleiner als ein Daumen. Auch jetzt hätte sie die Fachtür einfach schließen können, doch etwas in ihr zwang sie, nach dem Schwert zu greifen.
    Die Scheide wa r schlicht und ohne jeden Schmuck oder Ve rzierungen. Der Griff selbst musste auf jemanden, der sich mit Waffen nicht auskannte, eher unscheinbar wirken. Doch Johanna kannte sich mit Waffen aus. Sie war schließlich als Tochter eines Waffenschmieds groß geworden, der al s Schwertfeger unzählige Klingen poliert und geschliffe n hatte. Und sie hatte einen der besten Klingenschmied e des Landes geheiratet, dessen Klingen von Andernach aus in die großen Städte des Reiches verschifft worden waren. Ja, bei Gott, Johanna wusste, woran man ein gutes Schwert erkennt – und das hier war eine besondere Waffe. Der Griff war zwar nur mit schlichten Lederscheiben und Silber versehen, aber hier hatt e ein Meister das Ganze so geformt, dass de r Griff zur Hand und zu den Fingern seines Besitzers passte. Bei genauerem Hinsehen konnt e man die zarten Schnitzereien im Griff erkennen. Weniger als Schmuck, dachte Johanna, vielmehr so rgten sie dafür, dass selbst schweißnasse Hände sicher zupacken konnten. Die Parierstange, das Kreuz, das bei vielen Schmuckwaffen aufwendig gearbeitet war , war lediglich leicht gebogen, der Knauf oberhalb des Griffes zeigte einen kunstvoll geprägten Löwen, der einen Stern in seinen Pranken hielt. Johanna zog die Klinge aus der Scheide. Sie schnappte unwillkürlich nach Luft. So eine Langschwertklinge hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen. Sie hatte zwar schon von den legendären Damaszenerklingen gehört, sie aber noch

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