Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
Klosterkirche. Ich hatte mein Ziel erreicht, allerdings später als gedacht. Doch so, wie ich im Moment aussah, konnte ich unmöglich vor den Abt treten. Ich lief hinunter zum See, an dessen Ufer ich die letzte halbe Stunde schon entlanggelaufen war. Das Wasser war glasklar und eiskalt. Ich war allein hier. Weiter unten in der Ferne, auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, konnte ich den Rauch eines Feuers entdecken. Möglicherweise Fuhrleute, die auf dem Weg von Mayen herauf eine Pause machten. Ich wusch mich und säuberte den Schnitt am Arm, der zum Glück nur ein tiefer Kratzer war. Aber meine Kleidung blieb weiter schmutzig und an zwei Stellen eingerissen. Daran konnte ich jetzt auch nichts ändern. Es half alles nichts, ich sah nicht sehr ansehnlich aus, als ich an der Klosterpforte klopfte. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich eine Klappe vor mir öffnete. Ich blickte in das schmale, bartlose Gesicht eines Mönches, der mich geradezu misstrauisch musterte. Seine dunklen, fast schwarzen Augen, die dünne Nase und die eingefallenen Wangen – irgendwie erinnerte mich dieses Gesicht an ein Frettchen. „Ja, was?“ Bruder Frettchen hatte augenscheinlich sein Urteil gefällt, und das sprach nicht zu meinen Gunsten. „Der Herr sei mit Euch, Bruder, bitte bringt mich zu Eurem Abt! Ich komme aus Andernach und möchte mit ihm sprechen.“ Der Blick des Torwächters wurde noch eine Spur misstrauischer. Einen Wildfremden würde er sicherlich nicht ins Kloster lassen, da könnte ja jeder kommen.
„Wenn du eine warme Suppe willst, dann geh die Mauer entlang zur Seitenpforte. Die Mittagszeit ist zwar schon vorbei, aber die Brüder dort haben vielleicht noch einen Rest für dich.“ Sprach‘s und warf die Klappe wieder zu. Da stand ich nun wie ein begossener Hund. Alle Hoffnung darauf, als Unbekannter ins Kloster zu kommen, war umsonst gewesen. Nun gut, dann eben anders! Ich klopfte ein zweites Mal. Nichts rührte sich, ich klopfte erneut. Die Klappe öffnete sich und Bruder Frettchen blinzelte mich ungehalten an. Er holte Luft, doch ich kam seiner Schimpftirade zuvor: „Ich bin Konrad von Hohenstade und Greich, Sohn Herzog Richards, des Vetters Eures Kurfürsten und Bischofs Johann von Baden. Ich möchte Euren Abt sprechen, jetzt und auf der Stelle. Also bewegt Euch und öffnet das Tor! Sonst werde ich unangenehmer als die Straßenräuber, die vor nicht einmal zwei Stunden versucht haben, mich auszurauben. Habt Ihr mich verstanden?“ Stumm und sichtlich eingeschüchtert nickte Bruder Frettchen, schloss behutsam die Klappe und öffnete das T or. Als er so vor mir stand, sich verneigte und eine Entschuldigung murmelte, tat er mir schon wieder leid. Aber er hatte mir keine andere Wahl gelassen. Hier ging es um mehr als nur den Seelenfrieden eines Mönches – um viel mehr.
„Wenn Euer Gnaden kurz warten wollen, ich schließe nur rasch das Tor und führe Euch dann zu unserem Abt.“ Der Bruder verneigte sich noch zweimal, bevor er die eisernen Riegel zurückschob. Ich schaute mich um: Links von mir lag der Klostergarten, daneben ragte die Klosterkirche empor . An ihrer Seite schloss sich das eigentliche Kloster an. Um das ganze Kloster führte eine Mauer, durch deren Pforte ich gerade eingetreten war . Die mächtige Basilika hatte zwei Querschiffe. Zum See hin waren der Ost- und Westturm rechteckig, auf der gegenüberliegenden Seite hatten die Baumeister runde Seitentürme gewählt. Der große Zentralturm ragte sicher gut 130 Fuß in die Höhe. Der kleinere Zentralturm wirkte dagegen eher wie eine Kuppel. Das ganze Kirchenschiff aus Tuff und Basalt war gut und gerne 200 Fuß lang. Keine Frage, die Abtei am See hatte eine beachtliche Größe, ein stummes Zeugnis der Bedeutung dieses Klosters. Hinter mir hörte ich das Rascheln der Wollkutte des Torhüters. Diensteifrig schob er sich an mir vorbei und lief mit eiligen Trippelschritten vorweg. Ich folgte ihm. Vor uns trat ein Gruppe Mönche aus dem Tor des Klostergartens. Unter ihnen befand sich eine Gestalt, die mir so vertraut war wie mein eigener Schatten. Das konnte nicht sein! Oder doch? Der Gang, der vorgestreckte Kopf, die Hände auf dem Rücken.
„Anselm! Vater Anselm!“
Auf meinen Ruf hin drehte sich der Mönch um, sah mich, griff sich an die Brust und brach mit einem Stöhnen zusammen. Ich rannte zu dem regungslos am Boden Liegenden. Die übrigen Mönche bewegten sich wie eine Schar aufgeregter Hühner um ihren Mitbruder herum. Ich kniete mich
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