Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
nie be i einem Langschwert gesehen. Die einzelnen Lagen Stahl bildeten Wirbel und Schlingen, der Ort, die Spitz e des Schwertes, war scharf und erstaunlic h dünn. Ein geübter Kämpfer konnte damit leicht selbst einen gerüsteten Ritter töten, wenn er mit der Spitze unterhalb des Visiers oder in die Achseln stach. Die Hohlkehle der Klinge war wie eine Schlange verziert. Und obwoh l der untere Teil des Schwertes, die sogenannte Schwäche, so dünn gearbeitet war, dass man selbs t Kettengeflechte durchbohren konnte, hatte Johanna nicht den leisesten Zweifel daran, dass sie hier die härteste, schärfste und widerstandsfähigste Klinge in der Hand hielt, die sie jemals gesehen hatte. Trotz seiner Größe lag das Schwert ausgewogen in de r Hand. Für sie war es etwas zu schwer, aber für Konrad musste es wie die Verlängerung seines Armes sein. Johanna hätte nicht sagen können, wie lange sie die Waffe in der Hand gehalten hatte . Sie gab sich einen Ruck – sie missbraucht e Konrads Vertrauen. Rasch schob sie die Klinge zurück in die Scheide und legte die W affe wieder in das Fach zurück. ‚Lass es gut sein‘, ermahnte sie sich. Doch eines musste sie noch tun. Vorsichtig nahm si e das Medaillon aus seiner Aussparung. Dem Gewicht nach war es aus Gold. Behutsam öffnete sie den Deckel des Anhängers. In seine m Inneren lagen eine Siegelscheibe und ein kleiner Stift , den man an der Siegelscheibe befestigen konnte . Das Wappen des Schwertknaufes kannte sie nicht, doch bei diesem Siegel hatte sie keine Zweifel. Der Adler – sie hielt das Siegel des Hauses Habsburg in der Hand.
„Gott zum Gruße!“ Johanna zuckte vor Schreck zusammen und wirbelte herum. Das Medaillon verbarg sie rasch in der Tasche ihrer Schürze. In der Tür stand ein Mönch.
„Verzeiht, ich wollte Euch nicht erschrecken, aber die Tür stand offen und Ihr wart in Gedanken“, erklärte der Unbekannte entschuldigend.
„Sagt, wohnt hier Konrad, der Schnitzer?“
„Konrad – der Schnitzer?“. Für einen Moment war sie über Konrads Beinamen verblüfft. Andererseits – Konrad hatte den Auftrag Pastor Heinrichs angenommen, wahrscheinlich könnte man ihn so nennen.
„Ja, ja, natürlich“, erklärte sie hastig, „Konrad wohnt hier, nur seid Ihr der Erste, der ihn so nennt. Ih r habt recht, er schnitzt. Allerdings ist e r heute früh zur Abtei am See aufgebrochen. Ich bin seine Vermieterin. Ich wollte nu r eben seine Wäsche einräumen.“ Sie plapperte aufgeregt wi e ein junges Ding. Warum sollte diesen Mönch interessieren , warum sie hier in Konrads Haus war ? Doch der schien von ihrer Aufregung nichts zu bemerken. Er verbeugte sich kurz und lächelte: „Dan n werde ich in den nächsten Tagen noch einmal vorbei schauen. Bestellt Konrad doch bitte meine Grüße und sagt ihm, dass Bruder Georg ihn aufgesucht hat.“ Eine zweite Verbeugung, und der Mönch drehte sich um und verließ den Hof. Hätte sie sich nicht von dem Unbekannte n ertappt gefühlt, hätte sie seine Blicke bemerkt : das aufmerksame Abschätzen des Raumes und ihre s Hauses, das kurze, gierige Funkeln in seinen Augen , als er sie musterte. Doch von all dem bemerkte Johanna nichts, denn das Medaillon lag immer noch schwer in ihrer Schürze, mindestens so schwer wie die Gewissensbisse wegen ihrer Neugierde.
25
Ich schaute den Rotfuchs an: „Ich schlag Euch einen Handel vor!“
„Einen Handel?“, nuschelte der Einäugige, „hört, hört! Was willst du uns denn anbieten?“
„Ihr drei gebt den Weg frei, und wir trennen uns in aller Freundschaft“, erklärte ich mit sanfter Stimme.
Der Einäugige brach in schallendes Gelächter aus. Der Rotfuchs grinste, und der Milchbart schaute seinen Kumpane an, unsicher, ob er jetzt mitlachen sollte oder nicht.
Der Rotfuchs hob kurz die Hand, und der Einäugige verstumm te. „Das nenne ich mal einen Handel! Die letzten Acht vor dir ha ben um ihr Leben gebettelt und uns verflucht. Was bietest du uns?“
Ich blickte allen drei stumm in die Augen. Der Milchbart senkte sogar kurz den Blick. Die beiden anderen waren zu abgebrüht. „Ich lasse Euch am Leben. Das ist mein Angebot: Ihr lasst mich gehen und ich lasse Euch am Leben!“
Ich wusste, dass ich ein gefährliches Spiel spielte, aber ich hatte nicht viele Chancen. Besser gesagt, nur eine Einzige.
Dem Milchbar t blieb vor Staunen der Mund offe n stehen, und selbst der Rotfuchs schaute mich ungläubig an. In diesem Moment hörte ich hinter mir ein leises Knirschen. Ein
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