Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
nachdem man die Leichen im Fjäll gefunden hatte.
Weitere zwei Minuten später hatten sie das Papier mit den Informationen zu dem Fall, das Lennart Anitha gegeben hatte, und eine Adresse von Shibeka Khan. Nun ließ Billy die Kupplung kommen und fuhr in den Kreisel am Ende des Rålambshovsleden.
In weniger als einer Viertelstunde wären sie in Rinkeby.
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M ehran war am Fridhemsplan ausgestiegen, um in die andere Linie umzusteigen. Doch eigentlich hatte er noch keine Lust, wieder nach Hause zu fahren, und so hatte er die U-Bahn verlassen und war in die Västermalms-Galerie gegangen, die direkt nebenan lag. Dort streifte er ziellos umher, betrachtete Schaufenster und schlenderte durch verschiedene Läden. Er wusste, dass er eigentlich direkt nach Hause fahren und Shibeka alles erzählen müsste, aber erst wollte er mehr herausfinden. Seine Mutter sollte die Wahrheit erfahren. Das würde ihrer Suche, ihrem ewigen Kreisen um das Verschwinden ihres Mannes, ein Ende bereiten.
Und sie brauchte ein Ende. Ein richtiges Ende.
Genau wie er auch. Er ging wieder hinaus auf die Fleminggatan. Hier herrschte ein geschäftiges Treiben. Er blieb zwischen all den Leuten stehen, die gestresst vorbeieilten. Sah zu den hohen, gelben Häusern hinüber, die ein Stück von ihm entfernt auf einem Hügel thronten. Darunter lag der U-Bahn-Aufgang, in dem Said sein Geschäft betrieben hatte. Wenn er doch nur eher dorthin gegangen wäre. Dann hätten sie das alles schon lange gewusst. Aber ihm war klar, warum er es nicht getan hatte. Es gab einige Orte, die er mied, weil er früher mit seinem Vater dort gewesen war. Die er nicht wieder besuchen wollte. Der Laden war einer davon. Das Fußballfeld auf halbem Wege nach Tensta, auf dem Hamid ihm das Fahrradfahren beigebracht hatte, ein weiterer. Und der Spielplatz vor Melikas Haus.
Er hatte immer geglaubt, dass ihn diese Orte zu sehr an seinen Vater erinnern würden. Er wollte den Verlust nicht spüren, es war besser, ihn einzukapseln und ruhen zu lassen. Das hatte er zumindest gedacht. Aber eigentlich war es wohl gar nicht so. Er brauchte die Orte und Erinnerungen. Sie taten nicht weh. Stattdessen konnten sie ihm etwas erzählen.
Denn wie sich nun herausstellte, hatten ihn einige seiner Erinnerungen getrogen. Die Personen, von denen er geglaubt hatte, sie wären seine Freunde, waren es nicht. Der Laden, in dem er immer Süßigkeiten bekommen hatte, hatte schließlich in all diese Finsternis geführt. Melika war nicht pausenlos wütend, sondern eigentlich nur ängstlich.
Aber eine Sache war immer noch wie früher.
Er vermisste seinen Vater. Hatte es als Kind getan und tat es jetzt, wo er beinahe erwachsen war.
Das Leben war etwas Merkwürdiges. Alle, die er kannte, wollten so viel daraus machen, so viel wie möglich herausholen. Materielles, Erfolg, Respekt. Auch er. Er war nicht anders. Aber letzten Endes suchte man doch eigentlich einen Zusammenhang. Dinge, mit denen man sich auskannte. Erinnerungen, die sich nicht änderten. Freunde, auf die man sich verlassen konnte. Eltern, die am Leben waren. Es klang so einfach, doch er verstand immer mehr, dass es schwer war, das alles in der Realität tatsächlich zusammenzuhalten.
Sein Handy klingelte und unterbrach ihn in seinen Gedanken.
Er kannte die Nummer auf dem Display nicht. Aber er erkannte die Stimme wieder, als er den Anruf annahm.
«Mehran?», fragte sie kratzig.
Er brauchte eine Sekunde, um zu antworten. Zwei Sekunden. Vielleicht auch drei.
«Ja.»
Der Mann wartete nicht gern. Seine Stimme knarrte Mehran sofort wieder ins Ohr und verlangte nach einer Antwort.
«Hier ist Joseph. Ich habe gehört, dass du mich gesucht hast.»
Mehran sagte nichts. Er stand schweigend da und sah die Autos vorbeirauschen. Die Stimme klang so anmaßend, dass er sich umsehen musste, ob Joseph nicht irgendwo stand und ihn beobachtete. Doch er war nirgends zu sehen.
«Ich habe dich lange nicht gesehen, Mehran. Wie ist es dir ergangen?»
«Woher hast du meine Telefonnummer?»
«Das war nicht schwer. Ich kenne eine Menge Leute, die mir in solchen Dingen gern behilflich sind.»
Die Drohung war nicht einmal versteckt. Er wollte Mehran zeigen, wer hier wen finden konnte. Mehran beschloss, dagegenzuhalten. Ihn würde er nicht einschüchtern.
«Ich will dich treffen», sagte er so ruhig wie möglich.
«Warum?»
«Weil ich es will. Ich möchte mit dir reden. Und ich glaube, du willst auch mit mir reden.»
Die Stimme am anderen
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