Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
über ihren Mann ertrug sie einfach nicht. Jetzt reichte es. Sie schaffte das einfach nicht mehr.
In seinem Büro wies Doktor Shahab Vanja einen Platz an der Seite des Schreibtischs zu. Er selbst setzte sich auf einen Bürostuhl und rollte damit näher an sie heran. Kein gutes Zeichen, dachte Vanja. Nähe und eine ernste, einfühlsame Miene in einem geschlossenen Raum. Es war kritisch.
«Wir haben eine Ultraschalluntersuchung vorgenommen», begann Omid Shahab und machte eine kurze Pause.
«Und …?», fragte Vanja vorsichtig.
«Anschließend haben wir ihn sofort nach oben zur Computertomographie gebracht, um ganz sicherzugehen. Aber es deutet schon jetzt vieles darauf hin, dass sich in der Niere Ihres Vaters Metastasen gebildet haben.»
Nicht auch noch das. Er war doch gerade für gesund erklärt worden. Waren sie denn nicht schon genug gestraft?
«Er hatte vor nicht allzu langer Zeit Lungenkrebs», erklärte sie dem Arzt.
«Ja, das haben wir gesehen», erwiderte Doktor Shahab nickend, «und allem Anschein nach sind das Metastasen, die im Körper weitergewandert sind.»
«Und was passiert jetzt?»
«Wir müssen genau untersuchen, in welchem Stadium sich der Krebs befindet», erklärte der Arzt. «Wir werden operieren, und im besten Fall hat sich der Krebs noch nicht außerhalb der Nieren ausgebreitet.»
Vanja brauchte gar nicht erst zu fragen, was der schlimmste Fall war. Das Schlüsselwort war «ausgebreitet». Der Krebs konnte den ganzen Körper befallen haben. Das würde Valdemar natürlich nicht überleben. Aber sie auch nicht. Doch es gab noch ein anderes Wort, das sie störte. Nieren. Plural.
«Sind beide Nieren betroffen?», fragte sie, obwohl sie die Antwort zu kennen glaubte. Omid Shahab nickte, noch bevor er die Bestätigung aussprach.
«Auf dem Ultraschall sah es so aus. In diesem Fall können wir nicht operieren, ehe wir einen Spender gefunden haben.»
«Ich spende», sagte Vanja sofort.
«Ich verstehe ja, dass das Ihr erster Gedanke ist, aber das ist ein ernstzunehmender Eingriff. Für den Empfänger und den Spender», erklärte Doktor Shahab und schüttelte den Kopf. «Das ist eine Entscheidung, die gründlich überlegt sein will.»
«Nein, will sie nicht», unterbrach Vanja ihn. «Ich spende eine Niere.»
Der Arzt betrachtete die junge Frau, die vor ihm saß. Er hatte das Gefühl, dass er jetzt sagen konnte, was er wollte, sie hatte sich bereits entschieden.
«Ich vereinbare einen Termin zur Voruntersuchung», erklärte er nach einer Weile.
[zur Inhaltsübersicht]
L ennart Stridh tödlich verunglückt.»
Die Schlagzeile füllte fast den ganzen Bildschirm seines iPads. Das waren große Nachrichten. Einer der bekanntesten investigativen Journalisten Schwedens war von der Straße abgekommen, mit dem Wagen ins Wasser gestürzt, hatte sich eine Kopfverletzung zugezogen, das Bewusstsein verloren und war ertrunken. «Ein Anschnallgurt hätte ihn retten können», stand unter dem Foto des Wagens, das aus dem Wasser gezogen wurde, das SVT-Logo sichtbar an der Seite. Doch das stimmte nicht. Ab dem Moment, in dem Lennart beschlossen hatte, Charles anzurufen, hätte ihn nichts und niemand mehr retten können.
Charles klickte zur nächsten Boulevardzeitung. Dieselbe Schlagzeile, jedoch mit dem Zusatz, dass die Polizei Alkohol am Steuer als Unfallursache nicht ausschloss. Ausgezeichnet. Er las weiter die Berichterstattung im Internet. Nirgends war zu lesen, dass man ein Verbrechen vermutete.
Eine Tür war geschlossen, oder zumindest angelehnt worden. Im schlimmsten Fall hatte Lennart seiner Redaktion erzählt, wohin er unterwegs war und wen er treffen wollte. Falls nicht – ob man sich fragen würde, was er ausgerechnet am Bråviken vorhatte? Dieser Gedanke führte ihn zum Handy. Lennart Stridh hatte ihn angerufen. Sollte jemand auf die Idee kommen, Lennarts letzte Stunden zu rekonstruieren, und auf das Gespräch stoßen, würde er einen Namen vorfinden, der schon in einer anderen polizeilichen Ermittlung auftauchte.
Charles legte das iPad neben sich auf den Beifahrersitz, ließ den Motor an und fuhr weiter in Richtung Stockholm. Das waren einfach zu viele Unsicherheitsfaktoren. Charles fühlte sich wie ein Mann, der hinter einem großen Damm stand, in dem sich immer mehr Risse bildeten und zu lecken begannen. Er stopfte sie, so gut er konnte, mit allem, was er hatte, aber vieles – eigentlich alles – deutete darauf hin, dass der Damm demnächst brechen würde. Zu diesem Zeitpunkt musste
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