Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Charles über alle Berge sein.
Das Handy klingelte. Charles warf einen Blick auf das Display. Ein Name, den er schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte. Für einen Moment überlegte er, ob er es einfach klingeln lassen sollte, aber er brauchte jede Information, um den anderen so weit wie möglich voraus zu sein.
«Was willst du?»
«Hier ist Joseph», sagte eine knarrende, zischende Stimme mit starkem Akzent.
«Ich weiß», erwiderte Charles. «Was willst du?»
«Ein Junge war hier. Hamids Sohn.»
Charles schwieg, was Joseph offenbar zu der Annahme führte, er wisse nicht mehr, wer Hamid sei.
«Einer von denen, die wir den Amerikanern gegeben haben», verdeutlichte er.
Charles sah sie vor sich. Auf dem Boden gefesselt. Damals hatte er nicht gewusst, wie sie hießen. Sie waren schon dort gewesen, als er ins Bild kam. Seine Aufgabe bestand lediglich darin, sie zu überwachen. Derjenige zu sein, der Schweden vertrat, wenn amerikanische Agenten auf schwedischem Boden agierten, Bericht zu erstatten und vielleicht auch etwas von ihnen zu lernen.
«Was wollte er?»
«Mich treffen.»
Charles schloss die Augen. Ein neuer Riss im Damm. Er musste ihn so schnell wie möglich abdichten, ehe er sich weiter ausdehnte.
«Triff dich mit ihm, nimm ihn mit und ruf mich an, wenn du ihn hast.»
Er beendete das Telefonat, noch ehe der Mann mit dem starken Akzent etwas erwidern konnte. Dann trat er auf das Gaspedal und fuhr weiter in Richtung Norden. Jetzt musste er zwei Dinge erledigen. Ein anderes Auto organisieren und dafür sorgen, dass er all die Probleme nicht allein lösen musste.
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E pic fail. Die totale Katastrophe. Plötzlich schien alles vor ihm in die Luft zu gehen. Das, von dem er geglaubt hatte, es sei zwar definitiv gegen die Regeln, möglicherweise illegal, aber vermutlich ungefährlich, war das Gegenteil.
Es war tödlich.
Es gab keine andere Möglichkeit, die Schlagzeile auf der Internetseite des Aftonbladet zu deuten. Ein Journalist war tot. Lennart Stridh.
Dort stand zwar, es sei ein Unfall gewesen, aber Anithas blasses Gesicht sagte etwas anderes. Als sie stockend berichtete, dass sie dem Journalisten vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden den Namen des Polizisten gegeben habe, den Morgan im System gefunden hatte, verstand er. Alle Zusammenhänge zu erkennen, war unmöglich, dazu war die Sache zu kompliziert. Aber es waren einfach zu viele Zufälle. So gern er es sich auch einreden wollte – es konnte einfach kein Zufall sein.
Alles hing zusammen.
Er musste sich an ihrem Tisch abstützen, um nicht zusammenzubrechen. Er hatte Blut an den Händen. Vermutlich war ein Mensch aufgrund von Informationen gestorben, bei deren Beschaffung Morgan mitgewirkt hatte.
Er, der doch nur Anithas Gunst hatte gewinnen wollen. Er hatte gute Absichten gehabt. Er war auf der Suche nach Liebe gewesen. Nach jemandem, mit dem er seinen Alltag teilen konnte. Nichts anderes.
Und das hatte hierhergeführt. Zu einer widerrechtlichen Beschaffung von Daten. Und zum Tod.
Er wusste, dass er einen Fehler begangen hatte. Aber es war doch nur ein Name. Nicht mehr.
Anschließend hatte er einen Nutzen aus seinem Wissen gezogen. Das war seine größte Sünde. Es war dumm und boshaft gewesen. Man konnte jemanden nicht durch Erpressung dazu bringen, einen zu mögen. Aber er hatte darauf gehofft, dass Anitha ihre Meinung ändern würde, wenn sie nur etwas Zeit mit ihm verbrächte. All seine positiven Seiten kennenlernte. Und ihn möglicherweise allmählich ein wenig liebgewinnen würde. Nur ein kleines bisschen, das hätte ihm genügt.
Er hatte geplant, sie zwei Wochen lang zu zwingen, etwas mit ihm zu unternehmen. Höchstens einen Monat. Wenn sie dann nicht an ihm Gefallen gefunden hätte, hätte er damit aufgehört.
Jetzt bekam er die Strafe. Auch wenn sie ziemlich überproportioniert erschien, konnte er es einfach nicht anders deuten.
Du zahlst für das, was du tust.
Mit Zinsen.
Jetzt musste er das Richtige tun. Auch wenn sie dann nie wieder mit ihm sprechen würde. Es sei eine Katastrophe für sie beide, wenn jemand erführe, was sie getan hatten, sagte sie. Damit hatte sie wahrscheinlich recht. Aber er konnte nicht schweigen. Fehler verschwanden nicht einfach, indem man sie unter den Teppich kehrte und weiterging. Insbesondere dann nicht, wenn jemand gestorben war. Spätestens hier musste man die Grenze ziehen. Wenn er ein guter Mensch war, dann musste er es jetzt zeigen.
Die Wahrheit sagen.
Aber
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