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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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entkleidete sich, duschte und schrubbte sich so sehr, dass seine Haut kribbelte. Er rasierte sich Hals und Wangen, bis der Bart nur noch ein ungefähres Quadrat um Mund und Kinn bildete. Er strich einen Hauch Dr. Bell’s Pomada de la Campa ins Haar und kämmte es nach hinten. Dadurch sah er nichtjünger aus, verspürte aber etwas, das er nicht genau zu identifizieren vermochte.
    Er streifte das Holster über, sodass das Jackett die Waffe verbarg, er sie aber dennoch mühelos ergreifen konnte. Danach überprüfte er das Magazin und die Kugel in der Kammer.
    In der Sockenschublade fand er einen mattschwarzen Zylinder aus gummiertem Metall. Der war nicht besonders schwer und passte in eine Tasche. Eine Bewegung des Handgelenks offenbarte fünfundzwanzig Zentimeter schwarz lackierten Stahl.
    Als Sevilla den Krawattenknoten gebunden hatte, betrachtete er sich im Spiegel hinter der Schlafzimmertür. Die Waffe war nicht zu sehen; bei der Wölbung des Schlagstocks konnte es sich um einen Schlüssel oder eine seltsam geformte Brieftasche handeln.
    »Ich komme spät nach Hause«, sagte er ins Leere. »Wartet nicht auf mich.«

DREIZEHN
    Enrique überquerte die Grenze am frühen Morgen, damit er den dichtesten Verkehr auf der Brücke vermied. An einem durchschnittlichen Tag stauten sich die Autos auf sämtlichen Fahrspuren, die aus Mexiko herausführten, und die Amerikaner beeilten sich nicht gerade mit der Abfertigung. Sie setzten Drogenhunde ein, blickten mit Spiegeln unter die Karosserien und stellten endlose Fragen danach, woher man kam und wohin man wollte. Bei Mexikanern war es besonders schlimm, aber bei Landsleuten auf der Heimreise nur unwesentlich besser.
    Selbst zu dieser frühen Stunde musste er warten. Als er den Grenzübergang erreichte, zeigte er dem uniformierten Mann in der Kabine seinen Ausweis. Bei ihm verzichteten sie auf die Hunde, aber der Amerikaner nahm eine lange Metallstange mit einem Spiegel am Ende und ging einmal um das ganze Auto herum, dann bat er ihn, den Kofferraum zu öffnen.
    Enrique beantwortete die Fragen des Mannes. Es war nur ein Ritual. Sie wussten beide, dass er passieren durfte.
    Nach der Grenzkontrolle fuhr er durch El Paso. Die Stadt lag noch im Halbschlaf. Er kurvte durch Straßen mit parkenden Autos und dunklen Fenstern und richtete sich nach dem Plan aus dem Internet, den er ausgedruckt hatte.
    Die meisten Grenzstädte in Mexiko glichen ihren amerikanischen Vettern wie ein Ei dem anderen. Bei El Paso und Juárez verhielt sich das anders: Juárez war größer als El Paso. Enrique hatte fast den Eindruck, als führe er durch eine Kleinstadt, verglichen mit dem komplizierten Geflecht der Straßen in Juárez.
    Schließlich fand er die Zufahrt zur US-180, gab Gas und ließ die Stadt hinter sich. Der Highway führte durch den schmalsten Ausläufer des westlichen Texas und weiter nach New Mexico. Das Gelände war so unwirtlich und flach, wie es sich meilenweit rund um Ciudad Juárez erstreckte. Außer dem Rot und Orange der aufgehenden Sonne sah man keinerlei Farben. Einmal erblickte Enrique ein Kaninchen, das aus dem Schutz einervon der Sonne verdorrten Yucca lief. Sein Fell wirkte im Licht der Scheinwerfer strahlend weiß.
    Die Fahrt von Juárez nach Hiatt dauerte nicht lang. Innerhalb von sechs Stunden konnte er dort sein. Damit er nicht gar so früh eintraf, machte er unterwegs halt in Las Cruces und gönnte sich ein amerikanisches Frühstück mit Waffeln, Speck, Eiern und Kaffee. Enrique ließ sich Zeit beim Essen, wusste aber, dass er das Gefängnis trotzdem viel zu früh erreichen würde.
    Es war leichter gewesen, als Enrique gedacht hätte, den Termin mit Marco Rojas zu bekommen. Er hatte angerufen, sich als mexikanischer Polizist vorgestellt und war davon ausgegangen, dass er die Gründe, aus denen er den Gefangenen sehen wollte, detailliert darlegen müsste. Aber im Gegenteil; keine fünf Minuten später legte er auf und hatte Datum und Uhrzeit für seinen Besuch. Das Gefängnis sagte Enrique jede erdenkliche Unterstützung zu.
    Neunzig Minuten vor dem Termin mit Rojas traf er in der Stadt Hiatt ein, die recht unscheinbar aussah: ein rundes Dutzend Gebäude mitten in der Wüste und Straßen, die zu Ranchen führten, die unsichtbar in der Ferne lagen. Nichts hatte geöffnet. Enrique parkte vor einer eingezäunten, rechteckigen Rasenfläche, die vermutlich einen Park darstellen sollte, machte die Augen zu und verließ sich darauf, dass ihn die Weckfunktion seines Handys

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