Die toten Frauen von Juárez
andere zu sein, ohne dass er eine logische Ordnung gefunden hätte.
Rojas zog ein Gesicht, als könnte er es kaum erwarten, anderswo zu sein.
»Fangen wir mit Gabriel Madrigal an.«
»Okay, fangen wir mit ihm an.«
»Sie wurden wegen Drogenbesitzes und Vergewaltigung verhaftet, ist das richtig?«
»Ja.«
»Erzählen Sie mir davon.«
Rojas zuckte langsam und rollend mit den Schultern. »Gabriel hat gern die Puppen tanzen lassen. Das liegt in der Familie. Kokain, Heroin … Mädchen. Das alles liebte er.«
»Da muss noch mehr sein.«
»Schon möglich. Warum sollte ich es Ihnen erzählen?«
»Weil Sie es jemandem erzählen müssen.«
»Wirklich? Ich habe seit Jahren keinem mehr irgendwas erzählt. Weshalb sollte ich jetzt damit anfangen?«
Enrique holte tief Luft und ließ sie langsam wieder ausströmen. »Weil ich danach frage.«
Sie schwiegen eine Weile. Enrique hatte das Gefühl, dass Rojas abwog, wie es für Häftlinge im Gefängnis typisch war. Manches war in Amerika nicht anders als in Mexiko.
»Gabriel hat gern die Puppen tanzen lassen«, wiederholte Rojas und verstummte abermals. »Das fing an, als ich nach Juárez kam und ihn besuchte. Er fädelte alles ein.«
»Drogen?«
»Ja.«
»Wer hat Sie beliefert?«
»Anfangs verschiedene Leute. Dann fand Gabriel einen zuverlässigen Dealer.«
»Wie hieß er? Wissen Sie das?«
»Estéban.«
»Estéban Salazar?« fragte Enrique; sein Herz schlug schneller.
»Seinen Nachnamen kenne ich nicht. Er war derjenige, der das
heroína
ins Spiel brachte. Vorher haben wir nur Kokain und Marihuana genommen, so was eben.«
»Er hat Sie angefixt.«
»Nicht mich. Gabriel. Wir haben uns betrunken und zugedröhnt, genau wie die Mädchen.«
»Prostituierte?«
»Nicht immer.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich meine, sie waren Huren, aber manchmal musste man sie erst davon überzeugen.«
Enrique versuchte, eine gleichmütige Miene zu wahren, auch wenn er spürte, wie seine Gesichtsmuskeln zuckten. Der Ausdruck in Rojas’ Augen gefiel ihm nicht, ein schwarzes Funkeln, das mit den Erinnerungen einherging.
»Ein Freund von Gabriels Vater half uns. Sein Name war Ortíz, glaube ich. Manchmal hat er bei unseren Partys mitgemacht.«
»Und bei diesen Partys haben Sie Frauen vergewaltigt?«
»Ja.«
»Wie lange ging das?«
»Ein paar Monate.«
»Wie viel wusste Estéban Salazar davon?«
»Ich weiß nicht. Genug. Er blieb ein- oder zweimal. Aber ihm gefiel es nicht, wenn es zu brutal wurde. Ich sagte ihm, er solle sich keine Sorgen machen. Die Mädchen waren arm, wem sollten sie es schon erzählen?«
Enrique schluckte.
»Irgendwann kam er dann nicht mehr und verkaufte Gabriel auch kein
chinaloa
mehr. Das machte ihn wütend.«
»Was hat er getan?«
»Er beschwerte sich bei Ortíz. Ortíz hatte genügend Mittel und Wege, um Probleme zu lösen.«
»Aber er hat Estéban nicht getötet.«
»Nein. Gabriel sagte, dass Estéban eine Schwester hat. Sogar
narcos
haben eine schwache Stelle, wissen Sie?«
»Sie wurde belästigt?«
»Sicher.«
»Getötet?«
»Kann ich nicht sagen.«
Enrique fuhr fort. »Dann kehrten Sie in die Vereinigten Staaten zurück?«
»Ich musste mich wieder um meine Geschäfte in Santa Fe kümmern. Gabriel, der hatte Geld wie Heu, aber ich musste meinen Lebensunterhalt verdienen, klar? Ich konnte nicht ununterbrochen Partys feiern.«
»Gabriel kam mit Ihnen?«
»Nicht gleich. Später.«
»Haben Sie wieder … Partys veranstaltet?«
»Warum zum Teufel bin ich wohl hier, was glauben Sie?«, fragte Rojas laut.
»Sie wurden erwischt.«
»Weil Gabriel ein Idiot war. Der war die halbe Zeit so hinüber, dass er links und rechts nicht mehr unterscheiden konnte. Hier konnten ihm die Freunde seines Daddys nicht helfen. Und noch etwas läuft hier anders. Auch die armen Mädchen gehen zur Polizei. Man bringt sie nur zum Schweigen, indem man sie tötet … und das habe ich nicht getan.«
»Aber Gabriel?«
»Darüber will ich nicht reden.«
Enrique ließ nicht locker. »Wissen Sie, ob Gabriel Frauen getötet hat?«
»Niemals bei unseren Partys.«
»Wann ist es passiert? Hat er Ihnen gesagt, dass er jemanden getötet hat?«
»Ich sagte, darüber will ich nicht reden!«
Rojas betrachtete seine Hände, die an der Kette um den Bauch festgebunden waren. Er sah nicht auf. Eine schwere Last schien auf seinen Schultern zu ruhen. Für einen so kräftigen Mann wirkte er plötzlich sehr schwach.
Enriques Gedanken rasten. Die Verbindung zwischen Estéban
Weitere Kostenlose Bücher