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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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rechtzeitig wecken würde.
    Dreißig Minuten vor dem Termin folgte er den Hinweisschildern aus Hiatt hinaus und zum Gefängnis. Den ersten Zaun sah er lange vor den eigentlichen Gebäuden. In einem staubigen Kabuff mit schmutzigen Scheiben saß ein Wachmann, der das elektrische Tor bediente. Enrique zeigte abermals seinen Dienstausweis und erklärte, weshalb er hier war. Er durfte passieren.
    Nach einer Meile gelangte Enrique zu einer Gruppe von Häusern mit Bäumen ringsum und hübschen, aber trockenen Gärten. Hinter einem stand wie ein frühmorgendlicher Wachtposten eine Schaukel.
    Schließlich sah er das Gefängnis. Es wirkte nicht besonders imposant und bestand aus langen, kastenförmigen Gebäuden aus Beton und Hohlblocksteinenhinter einer Dreierreihe von Maschen- und Stacheldrahtzäunen. Hof und Basketballfelder waren verwaist.
    Er fuhr auf einen Parkplatz, wo rund zwanzig andere Autos standen, und ging den restlichen Weg zum Eingang zu Fuß. Diesmal zeigte er den Pass, wurde aber nicht sofort durchgewunken. Mit Hilfe eines Computers und eines uralten Druckers wurde ein Besucherausweis für ihn hergestellt und gleich laminiert. »Den können Sie als Souvenir behalten«, scherzte der uniformierte Vollzugsbeamte. Enrique lächelte.
    Ein anderer Aufseher begleitete Enrique ins Hauptgebäude. Sie gingen durch den schmalen Korridor eines Wirbelsturmzauns, der von Stacheldraht gekrönt und auf beiden Seiten abgeschlossen war. Der Beamte am anderen Ende überprüfte Enriques Pass gründlich, ehe er die Tür entriegelte.
    »Es dauert ein paar Minuten, bis alles vorbereitet ist«, sagte der Beamte, der ihn führte. »Bitte warten Sie hier.«
    Enrique befand sich in einem Bereich mit Sesseln und Bänken aus dunkelrotem Plastik. Auf einem Beistelltisch lagen Zeitschriften, doch Enrique ging die wenigen Minuten auf und ab, die der Beamte für die Vorbereitungen brauchte.
    Nach einer Viertelstunde kam der Beamte zurück. »Kommen Sie«, sagte er.
    Sie mussten eine elektrisch gesicherte Tür passieren und gelangten in einen grauen Raum mit wenigen Plastikstühlen. Metallgitter vor den Fenstern zerschnitten das Sonnenlicht in kleine Rechtecke.
    »Er wird gleich reingebracht«, sagte der Beamte.
    Weitere zehn Minuten vergingen, bis schließlich ein Häftling in einem weißen Overall hereingeführt wurde.
    Enrique war sich im Vorhinein nicht sicher gewesen, wie er sich Marco Rojas vorzustellen hatte. Der Mann war Amerikaner, daher hatte die mexikanische Polizei weder Fotos noch nennenswerte Unterlagen über ihn. Eine Familienähnlichkeit zwischen Rojas und Rafa Madrigal existierte nicht, doch das war auch nicht zu erwarten gewesen; er stammte aus der Familie von Madrigals Frau. Er war klein und gedrungen und muskelbepackt. Eine hakenförmige Narbe verunstaltete seine Schläfe, als wäreer so lange in etwas hineingestoßen worden, bis sich die Haut abgeschält hatte.
    Rojas war mit Ketten um die Hüfte und an den Füßen gefesselt. Der Aufseher führte ihn am Ellenbogen schlurfend zu einem Plastikstuhl, auf den er sich setzen musste. Enrique sah, dass Rojas ihn beobachtete.
    »Wenn Sie etwas brauchen, klopfen Sie einfach an die Tür«, sagte der Vollzugsbeamte und verließ den Raum. Er schob den Riegel vor. Sie waren eingesperrt.
    »Sind Sie Marco Rojas, der Cousin von Gabriel Madrigal?«
    »Kein anderer.«
    Rojas sah Enrique immer noch an. Als er fortfuhr, sprach er Spanisch. »Haben die Sie geschickt, damit Sie mich nach Mexiko bringen?«
    »Diese Befugnis besitze ich nicht«, antwortete Enrique.
    »Gut. Aber Sie sind ein mexikanischer Bulle.«
    »Woran sehen Sie das?«
    »Das haben die mir gesagt, bevor ich hergebracht wurde. Keine Bange, ich kann keine Gedanken lesen«, sagte Rojas und lächelte verhalten.
    Enrique stand immer noch. Er zog einen der Plastikstühle näher und nahm verkehrtherum darauf Platz, damit er die Arme auf die Rückenlehne stützen konnte. Auf die Weise fühlte er sich ein wenig sicherer, obwohl es Rojas mit den vielen Ketten ganz sicher nicht möglich war, sich auf ihn zu stürzen.
    »Wenn Sie nicht hier sind, um mich nach Mexiko zu bringen, was wollen Sie dann?«
    »Mit Ihnen über die Madrigals reden«, sagte Enrique unverblümt.
    »Was ist mit ihnen?«
    Enrique bemerkte, dass er nicht wusste, wo er anfangen sollte. Als er seine Begegnung mit Rojas geübt hatte, war er über die ersten Minuten nicht hinausgekommen. Fragen wirbelten in seinem Kopf durcheinander, und jede schien so wichtig wie die

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