Die toten Frauen von Juárez
Dollar pro Stunde und hörten auf, ehe die Marke von drei überschritten wurde.
Mexikanisches Gras, das man abseits der Touristenbezirke kaufte, war immer besser als das, was man auf der anderen Seite bekam. Ein paar Kanadier hatten Kelly einmal gesagt, dass ihr Marihuana erste Klasse wäre, doch das glaubte er nicht. Ob man es nun
malva, chora
oder
nalga de angel
nannte, in Mexiko bauten sie das beste Dope an; wenn Kelly
acostarse con rosemaria
ging, mit Rosemaria ins Bett, dann so, wie es südlich der Grenze üblich war.
Das Marihuana wirkte wohltuend. Er spürte nicht einmal mehr den Herzschlag in der Nase. Kelly kickte die Schuhe weg und ruhte die bloßen Füße auf dem Beton aus. Die
Autositz- maquiladora
war beleuchtet wie ein Paradewagen in Disney World.
Früher hatte sich Kelly einmal auf härteren Stoff eingelassen und Bekanntschaft mit der Nadel gemacht. Dabei war er geblieben, bis er nicht mehr klar denken konnte und vier Wochen schwitzend, kotzend und schlotternd in einem Krankenhaus in Juárez gelegen hatte. Als er wieder draußen und restlos pleite war, schwor er sich, dass er den Dreck sein ganzes Leben lang nie wieder anrühren würde, und daran hielt er sich. Jetzt beschränkte er sich auf
mota.
Das Gras machte ihn schläfrig, doch Kelly war diszipliniert; er rauchte den Joint zu Ende, ehe er ins Bett ging. Er warf sich auf die Matratze, ohne sich auszuziehen, zog die Decke über die Brust und schlief ein.
DREI
Über Nacht schwoll sein Gesicht an, und die Nase sah noch windschiefer aus als sonst. Kelly richtete sie, so gut er konnte, unter der lauwarmen Dusche und ließ frisches Blut den Ablauf hinabrinnen. Er verschlang ein Monsterfrühstück, um die verlorenen Kalorien wettzumachen. Die Schiebetür zum Balkon stand offen, er hörte die Sirene der Frühschicht. Auf die arbeitende Bevölkerung von Juárez warteten Arbeitsplätze und Geschäftigkeit, aber Kelly Courter hatte jetzt frei.
Er zog die Turnschuhe an, schloss ab und ging hinaus. Er sah keine Menschenseele, alle waren bei der Arbeit. Die einzigen Leute in Ciudad Juárez, die arbeitslos waren, waren die ganz alten und die ganz jungen, und manchmal arbeiteten auch sie, wenn sich Geld verdienen ließ.
Weiter südlich waren die Menschen ärmer und die Lebensbedingungen dementsprechend schlechter. Juárez ging es ein wenig besser, da es hier seit 1964 die
maquiladoras
gab: Fabriken, die einfach alles herstellten, von Handtaschen bis hin zu Maschinenteilen, überwiegend für amerikanische Firmen. Kelly benutzte, wie die meisten Kämpfer auf der mexikanischen Seite, Boxausrüstung von Reyes, und auch die wurde voll und ganz in den
maquiladoras
hergestellt.
Die Löhne in den Fabriken grenzten ans Sittenwidrige, und die Lebenshaltungskosten lagen in einer Stadt wie Juárez höher als im Landesinneren. Deshalb hatte auch Ciudad Juárez seine Elendsviertel und Drecklöcher in Form der
colonias populares,
doch die
maquiladoras
verhinderten, dass sie sich allzu sehr ausbreiteten. Die Luft war verschmutzt, die Stadt übervölkert. Natürlich gab es Verbrechen und Tod – heute mehr denn je –, doch es gab auch Parks und Schulen und asphaltierte Straßen. Dennoch verloren viele
maquiladoras
Kunden oder verlegten die Produktion nach China, da nicht einmal mexikanische Waren mehr billig genug für Supermarktketten wie Wal-Mart waren.
Er hatte sich in Ciudad Juárez niedergelassen, weil es nicht sein Zuhause war, ihn aber hinreichend daran erinnerte, und teils auch, weil essich einfach so ergeben hatte. Es war eine Zeit, in der sich alles veränderte, da die blutrünstigen
traficantes
ihre Geschäfte immer weiter nach Norden und Osten ausdehnten.
Er ging eine Meile, es wurden zwei. Er schwitzte, zog das Jackett aus und band die Ärmel um die Taille. Sein Gesicht war durch Mütze und Sonnenbrille verborgen, doch wer ihn genauer betrachtete, sah die Prügel, die er eingesteckt hatte.
Kelly ging zu Fuß bis El Centro und ließ die Busse zugunsten der Beinarbeit links liegen, obwohl sie in regelmäßigen Abständen an ihm vorbeirasten und ihn in ihre heißen Abgaswolken hüllten. Kelly hatte seit dem Verkauf des Buick nicht mehr am Lenkrad eines Fahrzeugs gesessen. Autofahren war sowieso für den Arsch, besonders wenn so dichter Verkehr die Straßen verstopfte, dass er einfach Häuserblock für Häuserblock an den Wagen und Bussen vorbeigehen konnte, die dermaßen in der Sonne brieten, dass den Insassen der Schweiß in Strömen herunterlief. Zu
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