Die toten Frauen von Juárez
der Bar boten sie sich aufreizend den Männern an, aber hier ging es nur noch ums Geschäft. Er begab sich in den zweiten Stock und klopfte an die letzte Tür. Kein Laut drang aus dem Inneren, bis eine gedrungene, füllige Prostituierte die Tür öffnete und Kelly den Lärm einer Quizsendung im Fernsehen vernahm.
Die Frau war oben ohne und sah mit ihrem kantigen Gesicht fast indianisch aus. Sie lächelte Kelly nicht an. »Was willst du?«, fragte sie.
»Er will zu mir, Süße.«
Kelly sah den dicken Mann auf einem kleinen Bett in dem Zimmer. Im Licht des Fernsehers wirkte er teigig und blau. Er lag mit den Hosen um die Knöchel da, ein dicker Wulst Fett verbarg weitgehend seinen Schwanz.
Als Kelly eintrat, zog er die Hose hoch. Der Mann trug ein halb zugeknöpftes Texas-State-Hemd, darunter ein verschwitztes weißes T-Shirt. Alles an ihm sah groß und schwabbelig aus, einschließlich seiner Hände. Die Frau zog ihre Bluse an.
»Soll ich wiederkommen, wenn du fertig bist?«, fragte Kelly den dicken Mann.
»Nee.«
Der dicke Mann bezahlte die Frau. Sie stritten sich über den Preis, weil er nicht zum Schuss gekommen war. Kelly stand in der Ecke des kleinen Zimmers und sah ins Bad, es war zu klein für eine Badewanne und enthielt nur eine Dusche, in der es von Kakerlaken wimmelte. Ein dicker, brauner Teppich aus Schaben hatte sich in der Mitte um den Abfluss gebildet. »Willst du
mir
auch nur die Hälfte bezahlen?«, fragte Kelly den dicken Mann.
»Hast du das ganze Kilo?«
»Klar.«
»Dann will ich mich nicht beschweren. Zeig her.«
Sie ließen den Fernseher laufen und machten kein Licht. Im flackernden Schein der Glotze holte Kelly das in vier Plastiktüten eingeschweißte
motivosa
heraus. Er legte die Päckchen auf das Bett. Der dicke Mann kramte eine Rolle Hunderter aus der Tasche und zählte zwanzig davon ab. Dann zog er das Texas-State-Hemd aus.
»Soll ich das Mädchen wieder reinrufen?«, fragte Kelly.
»Sehr witzig«, antwortete der dicke Mann. Er zog das T-Shirt aus. Sein Oberkörper war unbehaart und sah aus, als würde er schmelzen; dicke Wülste blassen Fleisches hingen an ihm herab. Er hatte größere Brüste als manche Stripperin.
Kelly nahm die zwei Riesen und zählte nach. Er steckte sie in die Brusttasche, zog den Reißverschluss der Tasche zu und wollte gehen. Das war der peinliche Teil, manche Käufer wollten gern plaudern, andere wollten so schnell wie möglich weg. Kelly bevorzugte Letztere. »Du steckst es doch nicht in einen Gürtel, oder?«, fragte er. »Darauf achten sie.«
»Nee«, sagte der dicke Mann. Er nahm ein Päckchen Gras in eine Hand, mit der anderen hob er einen seiner Speckwülste. Kelly stellte sich Moschusgeruch vor. »Ich hab meine eigene sichere Stelle.«
Der dicke Mann verstaute das gesamte Gras und zog die Hemden wieder an. Kelly sah keinen Unterschied.
»War mir ein Vergnügen«, sagte Kelly schließlich. »Ich muss los.«
»Wir sehen uns beim nächsten Mal«, sagte der dicke Mann. »Ich bin Frank.«
»Viel Glück, Frank«, sagte Kelly und ging hinaus.
Die Chance, dass er Frank wiedersehen würde, war gering. Jeder Weiße, der davon träumte, bei einem Abstecher über die Grenze schnelle Kohle zu verdienen, musste versuchen, ein bisschen
motivosa
zu schmuggeln, und die Chancen standen gut, aber wenn der erste Schwung verkauft war und es Zeit für einen neuen Ausflug wurde, bekamen die meisten Muffensausen. Würden sie es schaffen? Konnten sie es schaffen? Was, wenn sie es nicht schafften? Und damit war es vorbei; Beschaffen war schwerer als Verticken.
Schlaue Dealer und Käufer benutzten Kuriere, um das Risiko zu verteilen. Alle, die selbst rüberkamen, so wie Frank, waren Amateure. Doch solange das Geld stimmte, beschwerte Estéban sich nicht.
Kelly fuhr mit dem Taxi nach Hause, denn es war spät und er hatte Geld in der Tasche. Die Fahrt kostete nur fünf Mäuse.
In dieser Gegend gingen die Leute früh ins Bett und standen vor Sonnenaufgang auf. Durchzechte Nächte waren etwas für Gringos und verkrachte Existenzen. Hier arbeiteten die Menschen für ihren Lebensunterhalt, und sie arbeiteten hart, um nicht in den aus Pappe, Wellblech und Plastik erbauten provisorischen Vororten der Stadt zu enden.
Er schaltete das Außenlicht an, eine nackte Glühbirne ohne Schirm, und wartete drinnen. In dem kleinen Kühlschrank hatte er Bier, das er trank, bis sich seine Beine schwer und entspannt anfühlten.
Paloma klopfte nach Mitternacht. Kelly ließ sie
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