Die toten Frauen von Juárez
drei Kilometer von Ihrem Apartment entfernt«, sagte Sevilla. »Kaum Erde auf ihrem Grab.«
Das kleine Zimmer bewegte sich. Kelly hielt sich fest. Der Gestank von Erbrochenem brannte ihm in der Nase. »Oh, Scheiße«, sagte er.
»Halb verbrannt«, fuhr Sevilla fort. »Vergewaltigt.
Las dos vias.
Ihre Piercings wurden herausgerissen: an der Zunge, an den Brustwarzen, am …«
»Warum zum Teufel erzählen Sie mir das?«
»Weil Sie das gewesen sind, Kelly. Sie haben Paloma das angetan. Erinnern Sie sich nicht mehr?« Sevilla schob den Hefter über den Tisch. Kelly wich zurück. »Sehen Sie sich die Bilder an, wenn Sie sich nicht erinnern. Weil Sie ihr das alles angetan haben, Kelly, gibt es ein Dutzend Männer in diesem Gebäude, die Sie, ohne auch nur ein Mal zu überlegen, töten würden.
Einfach so.
«
Sevilla schnippte mit den Fingern. Kelly zuckte zusammen. Er wünschte sich, sein Kopf wäre leer, aber er war nicht leer; etwas Verkohltes und Verstümmeltes, von Tieren Angefressenes stahl sich hinein und füllte die Zwischenräume in seinen Gedanken, bis für die Gedanken selbst kein Platz mehr war.
Kelly bemerkte nicht einmal, wie Sevilla verstummte oder wie lange das Schweigen dauerte. Der Schnellhefter blieb auf Kellys Seite des Tisches, eine Ecke ragte über die Tischkante. Kelly wollte ihn nicht einmal anfassen. Schließlich überwand er sich doch und schob ihn zu Sevilla zurück. »Ich war das nicht.«
»Haben Sie sie zuerst vergewaltigt? Oder war es Estéban?«
»Seien Sie still.«
»Ich weiß nicht, wie ein Bruder die eigene Schwester vergewaltigen kann, aber so etwas ist schon vorgekommen, Kelly. Es wäre nicht das erste Mal. Waren Sie high? Helfen Sie mir, es zu verstehen, Kelly. War Estéban auch high?«
»Halten Sie den Mund, halten Sie Ihren verdammten Mund!«
»Haben Sie darum wieder zur Nadel gegriffen, Kelly? Weil Sie es einfach nicht mehr ertragen konnten? Sagen Sie mir: War es einfacher, ihr das alles anzutun, nachdem Sie ihr die Zunge zerfetzt hatten, Kelly? Sie konnte immer noch schreien, aber wenigstens keine Worte mehr sprechen. Sie konnte Ihren Namen nicht aussprechen, als sie um Gnade flehte. Sie lebte noch, als Sie sie angezündet haben.«
»Ich schwöre, ich bringe Sie um, wenn Sie noch ein Wort sagen«, antwortete Kelly. Er sah Sevilla dabei nicht an; er brachte es nicht fertig, seinen Blick vom Tisch und dem Schnellhefter ab- und dem Mann gegenüber zuzuwenden.
Danach schwiegen sie eine Weile. Kelly zitterte, obwohl es nicht kalt war, und presste die nackten Füße auf den Betonboden. Die Wärme strömte aus seinem Körper. Er hätte noch mehr Tränen vergießen können, doch diesmal flossen sie nicht, so sehr es sich Kelly auch wünschte. Tränen würden seine Sicht trüben, und Kelly müsste das alles nicht mehr sehen.
»Ich hätte ihr nie wehtun können«, sagte Kelly schließlich.
»Sie müssen schon entschuldigen, Kelly, aber das sagen alle.«
»Es ist
wahr.
«
»Auch das sagen alle.« Sevilla stand vom Tisch auf und nahm den Hefter mit. Er ging zur Tür. »Und sie sagen noch etwas.«
»Was?«
»Sie sagen
bitte,
Kelly. Am Ende sagen sie alle
bitte.
«
»Lassen Sie mich nicht hier zurück.«
»Buena suerte.«
ZEHN
Sie schlugen Kelly die losen Zähne aus, bis er fast an seinem eigenen Blut erstickte. Einer hielt Kelly fest, der andere drosch ihm in die Nieren, bis sein ganzer Rücken eine einzige schmerzende Fläche war.
Sie stopften ihm den Kopf in einen Sack und tauchten ihn unter Wasser. Ein Metallbecken von der Größe einer Babywanne wurde tief wie der Ozean. Am Ende hörte Kelly nichts mehr, außer dem eigenen Herzschlag in den Ohren, langsamer und langsamer.
Man zog Kelly das Hemd aus und schlug ihn mit Stromkabeln. Alkohol auf dem rohen Fleisch verursachte Höllenqualen.
Eine Autobatterie und Krokodilklemmen aus Kupfer versengten sein Fleisch.
Mit Kabeln gewürgt.
Mit einem Feuerzeug verbrannt.
In der Ecke getreten.
Warum haben Sie es getan?
Wo haben Sie es getan?
Wann haben Sie es getan?
Und wieder von vorn.
ELF
Kelly hörte sie im Nebenzimmer streiten: Dennis schrie die Männer des Sportverbandes an und diese wiederum ihn. In der Dusche der Umkleidekabine roch es nach Chlor, verbrauchter Luft und Schweiß. Kelly hatte das heiße Wasser aufgedreht, aber da er zusammengesackt in einer Ecke hing und der Duschstrahl in die andere ging, bekam er nur einen Schauer von Tröpfchen ab und Dampf in die Lunge. Er war erst halb ausgezogen und nicht bei
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