Die toten Frauen von Juárez
beim Einsteigen und schlug die Tür zu. Kelly sackte auf dem Sitz zusammen. Sein Herz raste, doch er fühlte sich ausgelaugt, nicht aufgekratzt. Er bekam nur am Rande mit, dass Sevilla einstieg und den Motor anließ. Kelly spürte, wie die Klimaanlage ansprang.
»Sie ist nicht hier«, sagte Kelly schließlich.
Sevilla drehte sich auf dem Fahrersitz um. Kelly sah, dass Sevilla aufgeregt war und stark schwitzte, die Adern an seinen Schläfen pochten. »Was?«, fragte Sevilla.
»Wenn die Paloma suchen«, sagte Kelly. »Sie ist nicht da. Ich habe mit …«
Sevilla unterbrach ihn. »Seien Sie still, Kelly. Hören Sie mir gut zu und sagen Sie nichts, verstanden? Wenn Sie diesen Tag überleben wollen, sagen Sie nur etwas, wenn Sie angesprochen werden. Wenn Sie eine Frage nicht mit
ja
oder
nein
beantworten können, halten Sie den Mund.«
»Ich weiß …«, begann Kelly.
»
Tú no sabe cualquier cosa!
Sie wissen gar nichts, Kelly! Nein, richten Sie sich nicht auf, bleiben Sie geduckt. Ich sage es Ihnen noch einmal: Sie sagen diesen Männern nichts, was Sie nicht zuvor mir erzählt haben. Das ist der einzige Gefallen, den ich Ihnen tue, Kelly. Vergeuden Sie ihn nicht.«
Bewaffnete Polizisten liefen an Sevillas Auto vorbei. Sie blieben nicht stehen und sahen auch nicht durch die Fenster. Kelly spürte, wie die kühle Luft seinen Schweiß trocknete. Wegen der Handschellen taten seine Handgelenke weh. Seine Haut klebte an den alten Vinylsitzen. »Ich verstehe das nicht.«
»Paloma«, sagte Sevilla.
»Sie ist fort«, antwortete Kelly. »Die haben sie mitgenommen. Ich habe mit einem der Mädchen in ihrem Büro gesprochen … Ella. Sie sagte, dass Männer sie entführt haben.«
Sevilla sah über die Schulter. Als er sich wieder umdrehte, schüttelte er den Kopf. »Sie hätten zu mir kommen sollen, Kelly. Sie hätten tun sollen, worum ich Sie gebeten habe. Warum mussten Sie so gottverdammt stur sein? Wie viele Male habe ich Ihnen einen Ausweg angeboten?«
Salziger Schweiß lief in Kellys Augen, sie brannten. Er kniff sie zusammen, blinzelte und rieb das Gesicht an der Sitzlehne. »Ich versteh Sie nicht«, sagte er wieder. »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Ich wollte Sie anrufen. Wir können sie finden.«
»Begreifen Sie denn nicht, Kelly?«, fragte Sevilla. »Sie wurde bereits gefunden.«
Ein Polizist klopfte an das Fenster auf der Fahrerseite. Sevilla wandte sich von Kelly ab. Alles, was er dem Polizisten sagte, fiel ins Leere. Siewurde gefunden. Nicht lebend, nicht tot, nur
gefunden.
Sie könnte beides sein.
Kelly zitterte. Er konnte nicht atmen und spürte noch mehr Schweiß in den Augen, doch das war kein Schweiß; diesmal flossen Tränen. Als er sich auf den Rücken legte, klemmte er die Arme unter sich ein, die Handschellen schnitten ihm ins Fleisch. »Ich will sie sehen«, sagte Kelly.
»Halten Sie den Mund«, sagte Sevilla. Er sprach wieder mit dem Polizisten, der Polizist erwiderte etwas.
»Ich sagte, ich will sie sehen!«
»Und ich sagte, halten Sie den Mund!«
Die hintere Tür von Sevillas Auto wurde aufgerissen. Kühle Luft strömte hinaus, warme Luft hüllte Kelly ein. Der Polizist stand jetzt nicht mehr am Fahrerfenster, sondern hier. Er trug die leichtere Version des Körperpanzers, eine schusssichere Weste. Seine Arme waren entblößt, lang und muskelbepackt. Er verdunkelte die Sonne.
Der Polizist zerrte Kelly an den Knöcheln vom Rücksitz. Sevilla brüllte, doch Kelly hörte nur, wie sein Kopf polternd auf das Trittbrett und dann auf den Asphalt knallte. Er bekam einen Stiefeltritt in die Rippen und konnte ihn weder abwehren noch ihm ausweichen. Er spürte die Faust, bevor sie sein Gesicht traf.
Sevilla warf sich auf den Polizisten, dann rangen sie miteinander über Kelly wie Titanen im grellen Sonnenlicht. Der Polizist stieß Sevilla weg und verpasste Kelly weitere Tritte und Schläge. Kellys Kopf schlug mehrmals auf den Asphalt. Er sah Lichtblitze, die nicht vom Himmel kamen. Die Bewusstlosigkeit überkam ihn wie der Schlaf der Erschöpfung. Ein Hieb nach dem anderen zog die Decke weiter über ihn, und darunter warteten nur Dunkelheit und Wärme, keine Schmerzen mehr; selbst das Gefühl von harten Knöcheln auf weichem Fleisch drang kaum mehr zu ihm durch.
Zwischen jedem Treffer registrierte Kelly vage die Stimme des Polizisten: »Du willst sehen? Du willst etwas sehen? Ich zeig dir was,
pinche puto
! Ich bring dich um! Ich bring dich um, verdammt noch mal!«
Schlagt den
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