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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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nahm Dennis’ Haut überdeutlich wahr, doch die Augen des alten Mannes blieben ihm verborgen. »Es geht um die
Verschwendung,
Kelly. Weißt du überhaupt, was du verschwendest, Kelly?
Zeit.
Du verschwendest
meine
Zeit, Kelly. Verdammt, du verschwendest
deine
Zeit. Du lebst nicht ewig.«
    »Ich will nicht ewig leben«, sagte Kelly.
    »Das ist gut, das wirst du nämlich auch nicht.«
    Dennis war verschwunden. Kelly sah über sich ins Licht. Dennis war wieder da. Kelly spürte, wie er ihm Papier in die Hand drückte.
    »Was ist das?«
    »Das war dein Leben, Kelly.«
    Eine Tür fiel ins Schloss. Kelly versuchte, den Schrieb des Sportverbandes zu lesen, aber das
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machte es unmöglich; er sah Formen und Farben, und manchmal sah er, wie sich die Luft bewegte, aber die Worte wichen ihm aus.
    »Denny? Denny, komm zurück.«
    Kellys Sporthose lag bereit. Daneben der Bademantel. Dennis’ Sachen waren alle fort. Wann hatte er sie mitgenommen? Dennis war eben noch hier gewesen, richtig? Kelly hörte ihn reden. Die Dusche prasselte. Dennis musste in der Dusche sein. Warum duschte er?
    »Denny, ich weiß nicht … hilf mir.«
    Er schaffte es von der Bank zur Dusche. Das Wasser lief, aber Denniswar nicht da. Kelly drehte sich zu schnell wieder um, seine Knie gaben nach. Er fiel zu Boden, die Beine ausgestreckt.
    »Denny? Denny, ich brauche dich.«
    Er wollte es nicht, aber er weinte. Es fiel ihm schwer, sich wieder zu erheben, und sein Gehirn funktionierte nicht richtig. Er empfand alles zu intensiv, weil der Stoff sämtliche Dämme und Schutzmechanismen eingerissen hatte. Dennis hatte ihm etwas gegeben … da lag es auf dem Boden: ein gelbes Blatt Papier, ein Formular mit Kugelschreiberkrakeln darauf. Verwirrung, Verwirrung.
    »Denny, es tut mir leid.«
     
    Bier half. Kelly kaufte eine Kiste Red Dog und trank eins nach dem anderen auf dem Parkplatz am Lenkrad seines alten grauen Buick. Bier unterdrückte die Kopfschmerzen, die stets auf eine lange Dröhnung folgten, vertrieb den Nebel und nahm der Welt ihre Schärfe. Er vertrieb sich die Zeit mit Trinken, nicht mit Schlafen. Als er einen Bullen sah, der ihn misstrauisch betrachtete, zog er weiter.
    Dreimal rief Kelly von einer Telefonzelle bei Dennis an, doch der alte Mann war entweder nicht zu Hause oder nahm nicht ab. Kelly wollte wütend sein, brachte es aber nur kurz fertig, dann überkam ihn wieder Traurigkeit. Er hatte kein Heroin mehr, um die Empfindungen seines Geistes zu betäuben, und der kleine Mexikaner, der Kelly den Stoff verkaufte, dealte nur nachts.
    Es war zu hell, um herumzufahren. Kelly ertrug das Licht nicht einmal mit der Sonnenbrille. Er parkte im Schatten einer Waschanlage und betrachtete den fließenden Verkehr. Er kannte die Stadt nicht und wusste nicht, was man unternehmen konnte, aber die Touristenecken kamen ohnehin nicht in Frage; im Augenblick wollte Kelly keine anderen Menschen in seiner Welt haben.
    Das Bier war alle. Kelly döste bei laufendem Motor, damit die Klimaanlage funktionierte. Als die Tankanzeige aufleuchtete, dokterte er eine Weile an der Anlage herum, anstatt zu tanken. Vielleicht wollte er dem Auto den Todesstoß versetzen.
    Schließlich bezahlte er die Tankfüllung bar und versuchte nochmals, Dennis von einem Münztelefon aus anzurufen. Auch nach zwölfmaligem Läuten nahm niemand ab. Kelly fluchte und schlug mit dem Hörer auf das Telefon ein, bis das Plastik zerbrach und der Hörer in zwei Teilen herunterfiel. In der Tankstelle kaufte Kelly einen zweiten billigen Sixpack. Eine Dose trank er vor der Zapfsäule, die zweite riss er für unterwegs auf.
    Kelly wusste, dass er irgendwann nach Hause gehen musste, dennoch fuhr er ziellos durch namenlose Straßen und Viertel, die er nicht kannte. Hier war er allein. Niemand konnte ihn sehen, wenn er in seinem Auto saß.
    Leere Dosen bedeckten den Boden vor dem Beifahrersitz. Kelly trank noch eine leer und ließ sie fallen. Er steuerte den Buick mit den Knien, während er die Lasche der nächsten Bierdose aufriss. Linker Hand lagen kunterbunt durcheinandergewürfelt die unterschiedlichsten Geschäfte, ein typisches Beispiel für schlechte texanische Stadtplanung, rechter Hand lagen Straßen mit Wohnhäusern, Rasenflächen und Bäumen. Er sah Kinder, die Rad fuhren oder zwischen Rasensprengern spielten. Ein Stück weiter kreuzten Bahnschienen die Straße, die Ampel blinkte. Vor ihm war niemand.
    »Komm schon«, sagte Kelly. Er sah keinen Zug, aber jetzt ging die Schranke herunter. Er

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