Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
Vom Netzwerk:
die sehen, ist ein Drogensüchtiger, der mit einem stadtbekannten
narcotraficante
zusammenarbeitet. Die wissen von dem Heroin, Kelly. Die wissen von Estéban und Paloma und woher das Geld kam. Die wissen, dass Sie nicht in die Staaten zurückkehren können. Das alles wissen die, und doch sollen sie Ihnen in einer so ernsten Sache einfach blindlings glauben? Denken Sie darüber nach, Kelly. Denken Sie darüber nach und retten Sie Ihr Leben.«
    »Was tun Sie?«
    »Was in meiner Macht steht.«
    »Das reicht nicht.«
    »Mehr ist nicht für Sie drin«, sagte Sevilla; einen Moment sah Kelly Ortíz an Sevillas Stelle und roch Bier und Limetten.
    »Verdammt.«
    »All die Jahre, Kelly, habe ich Sie beobachtet, mit Ihnen geredet … aber wir waren niemals Freunde. Ich habe Sie immer gemocht, oder vielleicht haben Sie mir auch nur leid getan.«
    »Lecken Sie mich.«
    Sevilla ging mit einer Bewegung der Zigarette darüber hinweg. »Und dann hatten Sie Paloma. Natürlich war sie die Schwester eines Drogendealers, und ich weiß, als sie mit Estéban ihre ›Cousine‹ in Mazatlán besuchte, haben sie in Wahrheit den Kontakt zu Estébans Lieferanten hergestellt. Was, das wussten Sie nicht? Sie überraschen mich, Kelly.«
    Kelly wollte auf den Tisch spucken, aber sein Mund war trocken und schmeckte nach Blut. »Ich glaube Ihnen kein Wort«, sagte er.
    »Glauben Sie es oder lassen Sie es bleiben«, antwortete Sevilla. »Es stimmt. Ich hatte keine Illusionen, was sie und ihren Bruder anbetraf, aber ihre Arbeit – ihre
echte
Arbeit, Kelly, nicht die anderen Sachen –, die war real. Ich sagte Ihnen schon einmal: Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Gutes sie getan hat.«
    »Ich will nicht mehr über sie reden«, sagte Kelly.
    »Sie müssen mir sagen, wer ihr das angetan hat, Kelly.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Weil Sie immer noch Geheimnisse haben.«
    »Weil ich es nicht weiß.«
    Sevilla drückte die Zigarette auf dem Tisch aus und schnippte die Kippe in die Ecke. Das Gewicht unter seinen Augen schien noch schwerer zu werden. Als Sevilla den Kopf schüttelte, dachte Kelly, er würde weinen.
    »Die kommen zu mir und sagen, hier ist die Leiche, hier sind die schrecklichen Gräuel, die ihr angetan wurden, und hier sind die Männer,die ihr am nächsten standen. Wissen Sie, in Juárez suchen wir immer nach
el extranjero,
dem Monster, das wir nie zuvor gesehen haben, das uns Leid zufügt, aber wir fügen uns selbst Leid zu, Kelly, dazu brauchen wir keine Fremden. Wir sind eine Stadt der toten Frauen. Wir verschlingen uns selbst.«
    »Ich habe nicht …«, begann Kelly.
    »Okay«, sagte Sevilla. Er hob eine Hand und forderte Stille. »Okay.«
    Sevilla stand vom Tisch auf. Er kam herüber und hielt Kelly den Arm hin. Kelly stützte sich auf den alten Polizisten wie auf eine Krücke; gemeinsam gingen sie zu dem Fenster. Sevilla zog die Jalousie hoch. Auf der anderen Seite befanden sich weder Sonne noch Natur, sondern ein weiterer Raum wie dieser.
    Kelly kannte beide Polizisten auf der anderen Seite der Glasscheibe. Einer war jung, möglicherweise erst fünfundzwanzig, mit Bauchansatz und bereits schütterem Haar. Der andere war älter, kräftiger und hatte einen Schnurrbart und graumeliertes Haar, wie ein hochrangiger Militär. Der ältere Polizist machte gern Gebrauch von den Fäusten. Er hieß Captain Garcia. Der jüngere stellte manchmal Fragen, momentan schwieg er jedoch.
    Estéban saß zwischen ihnen; sie hatten ihn am Tisch festgekettet. Kelly sah den Waschzuber und den Sack, beides achtlos in einer Ecke abgestellt. Auf der Tischplatte glänzten Wasserpfützen, rosa gefärbt von Blut. Estébans Gesicht war eine aufgedunsene Masse von Schwellungen und Blutergüssen. Seine Lippen waren an mehreren Stellen aufgeplatzt. Sie hatten ihn bis zur Taille ausgezogen, seine Brust sah übel aus.
    »Wach auf, Arschloch!«, brüllte Captain Garcia. Er packte Estéban am Genick und zeigte zum Fenster. Kelly sah Estébans Augen aufleuchten und begriff, dass es sich tatsächlich um ein Fenster handelte, nicht um einen doppelseitigen Spiegel. Kelly legte eine Hand auf die Scheibe. »Da ist dein verdammter Freund,
puto
! Und was tut er für dich?
Nada!
«
    »Wenn Sie es nicht waren, dann sagen Sie mir, wer es war«, flüsterte Sevilla Kelly ins Ohr.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Kelly.
    »Enrique, geh ihn holen«, sagte der ältere Polizist zu dem jüngeren.
    »Sie sind ein kleiner Fisch, Kelly. Das habe ich Ihnen immer gesagt. Warum haben die

Weitere Kostenlose Bücher