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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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sein, denke aber, ich sollte …«
    »Gehen wir hinaus«, unterbrach Quintero ihn. Sie schenkte Sevilla ein Lächeln. »Haben Sie schon gefrühstückt? Ich bezahle.«
    Sie ließen Kelly zurück und zwängten sich zwischen den Polizisten vor der Tür hindurch. Quintero ging voraus. Ein Baby schrie, ein junger Mann wartete geduldig mit fest in Mullbinden gewickelter blutiger Hand auf einem der Plastikstühle.
    Draußen, in der Sonne, zündete sich Quintero mit einem Einwegfeuerzeug eine Zigarette an. Sie hielt Sevilla eine hin. Er nahm sie. Quinteros Marke war Marlboro Lights. Sevilla zündete seine mit dem eigenen Feuerzeug an, dann standen sie einen Moment schweigend nebeneinander und inhalierten Nikotin und Rauch.
    »Sie sind beim Drogendezernat, richtig?«, fragte Quintero schließlich.
    »Das stimmt.«
    »Wie lange machen Sie das schon?«
    »Fast dreißig Jahre.«
    »Das ist beeindruckend,
Señor.
«
    »Danke«, sagte Sevilla.
    Quintero schnippte die halb gerauchte Zigarette weg. Sie drehte sich mit gleichmütiger Miene zu Sevilla um. »Ich bin dreiundvierzig«, sagte sie, »verfüge also nicht über Ihre Erfahrung, arbeite aber seit elf Jahren für das Büro der
Procuraduría.
Ich mache meine Arbeit gut. Darum bin ich hier und mache das; es ist eine wichtige Arbeit, die man gründlich vermasseln kann.«
    »Ich verstehe«, sagte Sevilla, obwohl er nicht verstand. Er wollte Quinteroergründen, doch es gelang ihm nicht; nichts regte sich mehr hinter ihren Augen. »Es ist nur …«
    »Dieser amerikanische Mann, Courter, kannten Sie ihn gut?«
    »Vielleicht nicht so gut, wie ich dachte. Aber ja, ich kannte ihn.«
    »Dann sollten Sie froh sein, dass Sie überhaupt bei den Ermittlungen dabei sein durften. Seit fast zwanzig Jahren müssen wir uns mit diesen
feminicidios
befassen. Ein Jammer. Eine Schande. Auf der ganzen Welt spottet man über Ciudad Juárez, weil wir sie nicht unterbinden können. Es kam fast einer Erlösung gleich, als die Kartelle anfingen, gegeneinander Krieg zu führen; es hat den Druck etwas von uns genommen.«
    Sevilla zog lange an der Marlboro, hatte aber die Lust daran verloren. Er ließ die Zigarette zu Boden fallen und trat die Glut mit der Schuhsohle aus. »Das alles müssen Sie mir nicht erzählen, Señora Quintero«, sagte er.
    »Kelly Courter war ein Boxer, Drogenabhängiger und Drogendealer. Stimmt das?«
    »Ja, das stimmt«, sagte Sevilla. Er wollte den schlechten Geschmack im Mund ausspucken.
    »Dann sehen Sie, wohin das führt«, fuhr Quintero fort. »Der Bruder des Opfers war ebenfalls Drogendealer. Sie wissen doch, wie diese
narcotraficantes
sind, wie sie durchdrehen können, wenn sie ihren eigenen Stoff nehmen. Die laufen an der gesamten Grenze entlang Amok. Wir wissen vielleicht nicht, weshalb sie Paloma Salazar getötet haben, aber wir finden es heraus.«
    Sevilla nahm den Fuß von der zerdrückten Zigarette und verschmierte die Asche auf dem Bürgersteig. »Nicht von Kelly«, sagte er.
    »Was?«
    »Ich sagte: ›Nicht von Kelly‹«, wiederholte Sevilla. »Man sagte mir, das Geständnis habe oberste Priorität, aber jetzt kann er keinem mehr etwas gestehen. Und warum sollte Estéban seiner Schwester so etwas antun? Das alles … ergibt keinen Sinn.«
    »Es wäre nicht das erste Mal«, sagte Quintero.
    »Nein, aber …«
    »Es ist schrecklich, was Señor Courter zugestoßen ist«, fuhr Quinterofort, »aber es ist nun mal geschehen. Wir können nur mit dem arbeiten, was wir haben, und es liegen Beweise vor – stichhaltige Beweise –, die auf diese Männer als Täter hindeuten. Wenn sie keinen Sinn ergeben, dann nur, weil nichts davon einen Sinn ergibt. Ciudad Juárez hasst seine Frauen nicht.«
    Quintero lächelte verhalten, doch es verschwand rasch wieder. »Ich habe diese Entscheidung getroffen, die Krankenstation im Gefängnis kann einen Mann in Courters Zustand nicht versorgen.«
    »Warum haben Sie ihn nicht einfach sterben lassen?«
    »Wie ich schon sagte: Ich möchte ein Exempel statuieren. Und er ist Amerikaner.«
    »Der andere«, sagte Sevilla leise.
    »Was?«
    »Nichts.«
    »Und wer weiß, für wie viele andere Morde er noch verantwortlich ist. Wir haben Aussagen von Zeugen gesammelt, die Courter ein sonderbares Verhalten bescheinigen. Verhalten, das zu weiteren Anklagen führen könnte.«
    »Was sind das für Zeugen?«
    »Zuverlässige.«
    Sevilla runzelte die Stirn. »Ich hätte gern, dass Estéban Salazar von den normalen Häftlingen in El Cereso getrennt und in

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