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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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in Anspruch nehmen.
    Sevilla trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad. Er öffnete das Fenster und ließ die verpestete Luft hineinströmen. Das Radio schaltete er nicht ein.

VIER
    Er musste nicht überlegen, wie er zu Kellys Apartment kam; den Weg hatte er im Lauf der Jahre oft genug zurückgelegt. Nicht um Kelly dingfest zu machen, sondern um zu reden und mit jedem Gespräch etwas mehr Druck auszuüben. Steter Tropfen höhlte den Stein, und das traf auch zu, wenn es darum ging, sich Informanten warmzuhalten. Sevilla hatte gehofft, dass Kelly eines Tages nachgeben würde, denn ein Mann wie Estéban ließ sich niemals kleinkriegen. Der steckte zu tief drin, wohingegen Kelly immer eine Randfigur bleiben würde, ganz gleich, wonach er selbst strebte.
    Sevilla musste nur das Viertel ansehen, in dem sich Kelly niedergelassen hatte, und wusste schon etwas über ihn. Diese Gegend mit ihren unauffälligen Mietskasernen und kleinen Geschäften für die ärmeren Arbeiter war um einiges besser als viele andere in Juárez. Ein Stadtteil wie dieser sprach von Hoffnung und Festhalten an einem bescheidenen Erfolg, wie es ihn in der Einsamkeit der
colonias
schon lange nicht mehr gab. Kelly hätte sich kopfüber in die Kloake stürzen können, die sich ohne Unterlass aus den Clubs und Bars und Bordellen ergoss, doch stattdessen hatte er sich für dieses Viertel entschieden.
    Die Straße war ruhig, als Sevilla parkte; selbst der Verkehrslärm der Stadt schien aus weiter Ferne zu kommen, als er ausstieg. Er spürte keine Blicke auf sich, weil es keine zu spüren gab; in einer Gegend wie dieser kehrten die Leute vor der eigenen Tür. Und wenn man nichts zu verbergen hatte, stellten Fremde auch keinen Grund zur Sorge dar.
    Er ging die Stufen hinauf. Er fühlte sich schwerfällig; und nicht nur, weil die Temperaturen stiegen. Wenn er durch Kellys Tür ging, würde dieser nicht da sein; es blieb nur die schreckliche Szene in El Cereso. Sevilla handelte zum Wohle Kellys, doch das machte die Bürde nicht leichter.
    In Amerika hätte die Polizei Kellys Tür vielleicht mit einem gelben Band versiegelt, doch hier gab es solche Markierungen nicht. Sevilla blieb am Geländer stehen und blickte nach Norden. Von dieser Stelle aus sahman Texas, aber die Demarkationslinie zwischen Ciudad Juárez und El Paso fiel nicht eben deutlich ins Auge. Aus dieser Perspektive schien alles im Kielwasser einer Flutwelle an den Ufern des Rio Grande angespült worden zu sein, und lediglich das Glück hatte entschieden, wer im Land der Verheißung und wer in Mexiko gelandet war.
    Sevilla hatte einen Schlüssel für Kellys Apartment. Er bezahlte den Hausverwalter dafür, weil er gedacht hatte, dass er sich hin und wieder zu einer Durchsuchung hineinschleichen könnte. Daher wusste er auch, dass Kelly clean war – abgesehen von dem
motivosa,
natürlich –, und kannte ihn durch die Spuren, die Kelly hinterließ, wenn er dachte, dass sie ohnehin niemand zu sehen bekommen würde, nur umso besser.
    Die Polizisten hatten Kellys Apartment in ein einziges Chaos verwandelt. Selbst das wenige Geschirr hatten sie zerschlagen, als sie die Schränke ausgeräumt, zerlegt und durchsucht hatten. Sevilla betrachtete das wüste Durcheinander einen Moment von der Tür aus, dann erst trat er ein.
    Er glaubte nicht, dass er etwas finden würde, das die anderen Polizisten übersehen hatten. Auch wenn die Gesetzeshüter jenseits des Flusses immer nur geringschätzig von ihnen sprachen, wussten die Polizisten von Ciudad Juárez, wie sie ihre Arbeit erledigen mussten. Wenigstens konnten sie die Unterkunft eines Verdächtigen auseinandernehmen, ohne ein Geheimnis ungelüftet zu lassen. Sevilla wollte … er war nicht sicher, was er wollte. Er wollte einfach nur hier sein.
    Sevilla ging vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer und wieder zurück. Auf dem Balkon hatten sie den Sandsack abgehängt, auf den Beton geworfen und aufgeschlitzt. Füllmasse und Sägemehl quollen aus dem Leichnam.
    Die Überreste eines Sofakissens reichten noch aus, einen Stuhl zu polstern, und so machte es sich Sevilla gemütlich, wie schon so häufig zuvor. Er zündete eine Zigarette an und betrachtete sein Spiegelbild in der gesprungenen Mattscheibe von Kellys zertrümmertem Fernseher. Sie war nicht hier, die Essenz Kellys; Sevillas Anwesenheit half ihm nicht, etwas zu verstehen.
    Ein Schuh streifte über die Schwelle; Sevilla sah auf. »Was machen Sie denn hier?«, fragte er.
    Enrique Palencia stand zögernd an der Tür,

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