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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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Schilder.«
    »Gracias, Señorita.«
    Sevilla betrat durch eine Schwingtür einen breiten, grünlich beleuchteten Flur. Er folgte den Hinweisschildern, bis er den ersten uniformierten Polizisten erblickte, dann einen weiteren und noch einen. Sechs Wachenscharten sich um den Eingang der Intensivstation, unterhielten sich miteinander oder sahen desinteressiert zu einem Fernseher an einer Wandhalterung.
    Die Polizisten wurden wachsam, als Sevilla näher kam, entspannten sich aber, als er seine Marke zeigte. Er gehörte zu ihnen. »Wo ist er?«, fragte Sevilla. »Der Amerikaner.«
    »Da drin. Aber er ist bewusstlos. Die Ärzte sagen …«
    »Das finde ich schon heraus«, unterbrach Sevilla ihn.
»Con permiso.«
    Er zwängte sich zwischen ihnen hindurch zur Tür hinein. Der Raum dahinter war größer als er erwartet hatte. Von den drei Betten waren zwei leer. Kelly lag verkrümmt im ersten. Hier plapperte kein Fernseher; nur das konstante Piepsen eines Herzmonitors hielt die Stille auf Distanz. Im Einklang damit zischte ein Beatmungsgerät; in der entferntesten Ecke sprach eine Frau in einem anthrazitfarbenen Hosenanzug leise in ein Handy.
    Eine enorme Menge Mull verbarg Kellys Gesicht, der Beatmungsschlauch ragte aus einem Dickicht von transparentem Klebeband, durch das man die Farbe von Blutergüssen und Blut sehen konnte. Beide Arme waren vom Bizeps bis zu den Fingerspitzen in Gipsverbände gehüllt. Die Beine unterhalb der Knie wirkten unnatürlich aufgequollen, steckten jedoch in aufblasbaren Manschetten, die sich dehnten und zusammenzogen und dadurch verhindern sollten, dass sich Gerinnsel bildeten, die Lunge oder Hirn töten könnten.
    »Verdammt, Kelly«, hauchte Sevilla.
    Sevilla wollte an Kellys Bett, wartete aber, bis die Frau mit dem Handy fertig war. Sie hob einen Finger, ohne ihren Wortschwall zu unterbrechen; Sevilla nickte. Das Gespräch dauerte noch eine Minute. Als die Frau das Telefon zuklappte, durchquerte sie das Zimmer und schüttelte Sevilla die Hand. »Rafael Sevilla? Schön, Sie zu sehen. Ich bin Adriana Quintero. Von der FEDCM.«
    »Ich kenne Sie«, sagte Sevilla. Quintero hatte einen festen Händedruck. Er sah, dass ihre Nägel manikürt und zartrosa lackiert waren. Sie roch leicht nach einem guten Parfüm, ihr Haar saß perfekt. »Ich habe Sie im Fernsehen gesehen.«
    Quintero lächelte kurz. Sie ließ das Handy in der Tasche verschwinden. Als sie Kelly ansah, verschwand das Lächeln. »Man sagte mir, Sie haben bei seiner Festnahme geholfen.«
    Sevilla wollte Kelly nicht direkt ansehen. »Mir hat er gesagt, dass er es nicht gewesen ist.«
    »Nicht? Captain Garcia sagte …«
    »Jemand hat mich heute Morgen angerufen«, sagte Sevilla. »Der Mann … der Anrufer teilte mir mit, dass Kelly tot sei. Wann wurde er hergebracht?«
    Etwas flackerte hinter Quinteros Augen, als sie ihn ansah, und verschwand sogleich wieder. »Man fand ihn beim Rundgang um drei Uhr in seiner Zelle. Warum sollte Sie jemand anrufen? Haben Sie die Stimme erkannt?«
    »Wie ist es passiert?«
    »Ein Mithäftling hat ihn angegriffen.«
    Sevilla schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Er saß allein in der Zelle.«
    »El Cereso ist ziemlich überfüllt. Er bekam einen Häftling in die Zelle, der auf eine Anklage wegen Drogenhandels wartet. Kein Gewaltverbrecher; niemand hätte vorhersehen können, dass er ihn derartig zurichten würde.«
    »Wo ist dieser Häftling jetzt?«
    »In Einzelhaft.«
    »Ich würde gern mit ihm reden.«
    Quintero machte eine wegwerfende Geste mit der Hand. Leibhaftig wirkte sie genauso wie im Fernsehen. Die FEDCM war die Spezialeinheit für die Untersuchung von Verbrechen gegen Frauen. Wann immer es zu einem
feminicidio
kam, trat jemand von der FEDCM im Fernsehen auf und gab vor dem Hintergrund der Büros der
Procuraduría
einen kurzen Kommentar ab. Die Gesichter wechselten im Lauf der Jahre, doch die Kommentare und wegwerfenden Handbewegungen blieben stets dieselben.
    »Das ist nicht erforderlich«, sagte Quintero. »Captain Garcia und seine Leute kümmern sich darum.«
    Sevilla verzog das Gesicht. »Und was ist mit Estéban Salazar?«
    »Mit wem?«
    »Dem anderen Verdächtigen«, sagte Sevilla. »Er ist der Bruder der toten Frau. Paloma Salazar ist das Opfer.«
    Quintero drehte sich zu Kelly um; Sevilla konnte ihr Gesicht nicht sehen. »Das muss ich nachprüfen.«
    Sevilla wollte die Frau am Arm packen, ließ es aber sein. Er sprach mit gedämpfter Stimme. »
Señora,
ich möchte nicht unhöflich

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