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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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ist Señora Sevilla?«
    Sevilla hörte auf, sich die Augen zu reiben. Seine Sicht war verschwommen. Er blinzelte einmal, zweimal, bis es vorbeiging. Das Zimmer machte einen sauberen und ordentlichen Eindruck. Es schien so aufgeräumt, dass Sevilla das Herz schwer wurde. Vielleicht sah man es seinem Gesicht nicht an. »Meine Frau ist gestorben«, sagte er nur. »Ist jetzt zwei Jahre her.«
    »Das tut mir leid.«
    »Danke. Sie hat dieses Haus eingerichtet, geschmückt … Das ist alles ihr Werk. Ich war kaum lange genug hier, ihm meinen Stempel aufzudrücken. Die Decke, die Uhr … Alles von ihr.«
    »Haben Sie Kinder?«
    Kopfschmerzen bohrten sich stechend in Sevillas Schädel. Noch ein Whisky könnte dem Dolch die Schärfe nehmen, aber Sevilla würde nicht im Haus trinken, schon gar nicht vor Enrique. Stattdessen stand er auf und ging zum Fenster. Draußen herrschte Schwärze. Wenn er das Licht ausschaltete und im Dunkeln saß, drang orange-weißliches Licht von der Straße herein, seine Augen passten sich an, und es schien, als würde sich ihm in den Schatten ein neues Zimmer offenbaren.
    »Meine Tochter ist ebenfalls gestorben«, antwortete Sevilla.
    »Wie ist das passiert?«
    »Telefonieren Sie ein bisschen herum«, sagte Sevilla zu schneidend. »Fragen Sie nicht direkt nach Estéban, sonst machen Sie Garcia misstrauisch. Er ist dumm, aber nicht so dumm.«
    »Falls er doch Fragen stellt, sage ich ihm, dass ich einen Bericht für Señora Quintero schreibe«, sagte Enrique. »Es ist einer fällig. Ich muss weder Sie noch sonst wen erwähnen. Er verlässt sich auf mich.«
    Sevilla wandte sich vom Fenster ab. Früher einmal hätte er der Nacht nicht den Rücken zugewandt, doch an so etwas dachte er nicht mehr. Das Reden verlieh seiner Stimme einen kräftigeren Klang, und das Nachdenken drängte die Kopfschmerzen zurück. »Was bekommen Sie von ihm?«
    »Wie bitte?«
    »Er verlässt sich auf Sie. Er ist dumm und grausam. Er braucht jemanden wie Sie. Was brauchen Sie von ihm?«
    Enrique wandte sich ab. Abermals herrschte Schweigen. »Man hat mir eine Beförderung versprochen«, sagte er schließlich. »Zwei Jahre bei ihm sind wie fünf Jahre in der Tretmühle. Ich würde auch mehr Geld verdienen.«
    »Der Teufel entlohnt einen immer reich«, sagte Sevilla.
    Er ging in die Küche und holte Orangensaft aus dem Kühlschrank. Er schenkte sich ein großes Glas ein. Er wartete, bis das Glas unter seinen Fingern beschlug, ehe er trank. Mit drei Schlucken verschwand der Saft. Kälte breitete sich in seinen Stirnhöhlen aus; einen Augenblick lang verspürte er keinen Schmerz.
    »Wenn Sie Zweifel an mir haben, hätte das Notizbuch sie ausräumen müssen«, sagte Enrique. Er stand unter der Tür, als würde er beim ersten barschen Wort die Flucht ergreifen. Sevilla verspürte plötzlich den Wunsch, das Glas nach dem jungen Polizisten zu werfen, aber eigentlich war er gar nicht auf Enrique wütend. »Ich habe Ihnen von dem Amerikaner erzählt. Ich habe Ihnen das gegeben.«
    Sevilla wusch das Glas aus. Er ließ heißes Wasser über die Hände laufenund bewegte die Finger. »Es fällt mir schwer, anderen zu vertrauen«, sagte er.
    »Was kann ich noch für Sie tun?«, fragte Enrique. »Der Amerikaner ist schuldig. Salazar ist schuldig. Das werden Ihnen alle bestätigen. Wir beide sind die Einzigen, die etwas anderes behaupten. Und wofür? Wenn es richtig ist, dann ist es richtig, aber niemand wird es uns danken.«
    »Sind Sie da ganz sicher?«
    »Ja.«
    Sevilla blickte Enrique wieder an. Er sah eine Andeutung von Garcias Härte, die Härte von im Wind erodiertem Stein. Er hätte nicht gedacht, dass man sie schon so früh würde bemerken können.
    »Ich bin heute einem Hinweis gefolgt und habe herausgefunden, dass jemand nach Zeugen sucht und gleichzeitig Lügen erzählt. Wenn sie genügend Gerüchte verbreiten, hält jeder sie irgendwann für die Wahrheit; die Leute erinnern sich nicht, ob das, was sie weitergeben, zutrifft oder erfunden ist.«
    »Dann zeigen wir es ihnen. Ist das nicht Ihre Absicht?«
    »Setzen wir uns wieder.«
    Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück. Diesmal blieb Enrique stehen, während Sevilla Platz nahm.
    »Es stehen Namen in Kellys Notizbuch. Ich suche alle auf. Ich stelle die Fragen, die gestellt werden müssen. Wenn ich Sie brauche, rufe ich Sie an; führen Sie weiter Ihr normales Leben. Dies sind … verwirrende Zeiten. Vielleicht ändern wir mit unserem Vorgehen gar nichts. Die Mühlen mahlen bereits.«
    »Das

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