Die toten Frauen von Juárez
amerikanischen Cousins hat ihn auf
cocaína
gebracht. Charakterloses Arschloch. Aus der Familie meiner Frau.«
So schnell sich seine Stimmung verfinstert hatte, so schnell hellte sie sich wieder auf. Sevilla sah wieder das Leuchten in Madrigals Augen. Der Mann richtete sich auf. »Ich ziehe mich um, Juan, dann spielen wir. Wie viele Schläge Vorsprung soll ich Ihnen geben?«
»So viel Sie für angebracht halten. Sie sind mein Gastgeber. Ich möchte keine Ansprüche stellen.«
»Sehen Sie?«, sagte Madrigal und zeigte mit dem Finger auf Sevilla. »Das meine ich.
Manieren.
Männer wie Sie und ich, wir wissen, was höflichist und was nicht. Und wir versuchen, es unseren Kindern beizubringen, doch vergeblich. Ich bin gleich wieder da.«
Damit entfernte sich Madrigal und ließ Sevilla an dem reich gedeckten Tisch sitzen. Sevilla legte ein Stück Toast hin und schob den Teller weg. Arturo und zwei Dienstmädchen in Uniform kamen abräumen. »Señor Madrigal bittet Sie, draußen auf ihn zu warten«, sagte Arturo zu Sevilla. »Er kommt in wenigen Minuten.«
Eine Balkontür führte aus dem Wintergarten hinaus auf den gestreiften Rasen. Sevillas Schuhe sanken tief ins Gras ein. Er roch Wasser und sah hier und da noch Tropfen an den Halmen haften. Als Sevilla näher kam, nahm er den beißenderen Chlorgeruch des Pools wahr.
Er hörte nicht, wie Sebastián sich näherte. Er sah das Spiegelbild des jüngeren Madrigal im Pool. »Sie haben mich überrascht«, sagte Sevilla.
»Und wohl nicht zum letzten Mal«, lautete Sebastiáns Antwort darauf. Die Sonne stand mittlerweile höher und schien grell über den Rasen. Sebastián nahm eine Sonnenbrille aus einem Etui am Gürtel und setzte sie auf. Für das Spiel hatte er eine kurze Hose und einen Pullover mit Kragen angezogen. Seine Arme waren schlank und muskulös; wenn er die Finger bewegte, zeichneten sich die einzelnen Muskelstränge deutlich ab.
Sie standen eine Weile nebeneinander, ohne zu reden. »Sie wissen hoffentlich, dass ich nicht alles ernst nehme, was Ihr Vater sagt«, erklärte Sevilla schließlich.
»Meinetwegen können Sie es ernst nehmen. Mir ist das egal.«
»Ich meine nur, dass mich das nichts angeht.«
»Nein«, sagte Sebastián, »es geht Sie nichts an. Aber mein Vater hat kein Problem damit, den eigenen Sohn vor Fremden zu beleidigen.«
»Also, ich finde nicht …«
»Sie müssen mir nichts erklären«, unterbrach ihn Sebastián. »Sie sind ein Gast meines Vaters, daher behandle ich Sie so, wie es von mir erwartet wird. Und dann können Sie gehen.«
Sevilla versuchte, Sebastiáns Miene zu deuten, doch die dunklen Brillengläser verbargen die Augen. »Ich wollte Sie nicht kränken.«
»Mache ich einen gekränkten Eindruck?«
»Ganz ehrlich? Ja.«
»Dann bin ich es vielleicht. Aber wie ich schon sagte, es ist unerheblich. Sie spielen Ihre Partie, mein Vater wird Sie einladen, eine Runde zu schwimmen und zum Mittagessen zu bleiben, und dann gehen Sie wieder zurück, wo auch immer Sie herkommen.«
»Mexico City.«
Sebastián sah Sevilla an. Die Sonnenbrille verwandelte sein Gesicht in einen hohlwangigen Totenschädel. »Wie ich schon sagte: Wo auch immer Sie herkommen.«
NEUN
Sie spielten, Sevilla verlor. Er spielte mit einem Freund Madrigals, einem älteren Herrn, der ebenfalls in Los Campos residierte. Anschließend folgten eine Runde Schwimmen, Getränke und ein Mittagessen, das ebenso üppig war wie das Frühstück, genau wie Sebastián prophezeit hatte. Madrigal Senior dozierte über den Krieg gegen die Drogen, die Geschäfte der
maquiladoras
und ein Dutzend weitere Themen, kam jedoch nicht ein Mal auf die toten Frauen von Juárez zu sprechen. Und seinen verstorbenen Sohn erwähnte er auch nicht mehr.
»Wenn Sie wieder einmal in Ciudad Juárez sind, müssen Sie mich wieder besuchen«, bat Madrigal Sevilla, als sie sich verabschiedeten. »Und sollte ich demnächst einmal nach Mexico City kommen, statte ich Ihnen einen Besuch ab.«
»Ja, das müssen Sie unbedingt«, log Sevilla. »Sie waren sehr freundlich zu mir, Rafa.«
»Nicht der Rede wert, Juan.
Adiós.
«
Sebastián verabschiedete sich nicht von Sevilla. Er war nach dem Golfspiel verschwunden und hatte sich auch zum Mittagessen nicht mehr sehen lassen. Sein Vater erklärte die Abwesenheit seines Sohnes nicht weiter. Es spielte auch keine Rolle; Sevilla hatte den kleinen Zwischenfall vom Vormittag noch deutlich vor Augen und war nicht besonders erpicht darauf, ihn zu wiederholen.
Mit
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