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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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staunte, dass sie ihn nicht auf den ersten Blick durchschaut, sondern an ihren Tisch eingeladen und Zeit mit ihm verbracht hatten.
    »Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, was uns das alles kostet, wenn wir nichts erfahren?«, fragte Sevilla. »Ihnen sitzt Garcia im Nacken, aber auch meine Vorgesetzten bezahlen mich nicht dafür, dass ich mich schick anziehe und mit reichen Männern auf einem Golfplatz herumstolziere. Wir müssen die Sache wohl oder übel zu Ende bringen.«
    »Ich weiß. Ich weiß, tut mir leid.«
    »Das muss es nicht.« Sevilla übte wieder den Abschlag. Er erinnerte sich nicht mehr, wann er das letzte Mal gespielt hatte, doch offenbar kehrten rudimentäre Erinnerungen daran zurück. »Das ist die Lösung. Ich bin ganz sicher. Und mir gefällt Madrigals Sohn nicht.«
    »Er ist Madrigals zweiter Sohn?«
    »Genau.«
    »Hört sich an, als täte Ihnen Señor Madrigal leid.«
    Ein weiterer Schlag. Diesmal fühlte er sich anders an, besser. »Mir tut jeder Mann leid, der ein Kind verliert. Wussten Sie, dass seine Frau letztes Jahr gestorben ist? Krebs. Ganz plötzlich. Sonst hat er keine Kinder, keine Enkel … nur Sebastián. Diese Art von Einsamkeit könnte einen Mann veranlassen, über viele Dinge hinwegzusehen, selbst über schreckliche Dinge.«
    Alles in der Suite gehörte Juan Villalobos Sanchez: die Unterwäsche in der Kommode, die Anzüge im Schrank. Rafael Sevilla gehörte nur dasFoto von Ana und Ofelia vom Nachttisch seiner Tochter. Er hatte nicht ein- oder zweimal darüber nachgedacht, ob er es dort stehen lassen sollte, wo es hingehörte, sondern viele Male, doch am Ende hatte er es mitgenommen.
    Aus dem Augenwinkel sah Sevilla, wie Enrique vom Fenster zu dem viele Stockwerke tiefer gelegenen Pool hinunterblickte. Er konnte es ihm nicht verdenken; die Aussicht war faszinierend, die winzigen Figuren, die unter einem kristallblauen Himmel in einem Stundenglas derselben Farbe herumschwammen. Am ersten Morgen in der Suite hatte Sevilla selbst eine ganze Stunde hinuntergesehen und anschließend geweint.
    Enrique meldete sich zu Wort. »Ich habe nie gesehen, dass sich Ortíz mit jemandem aus Madrigals Familie getroffen hat.«
    »Wie können Sie da so sicher sein? Ich habe ein Foto von Sebastián im Internet gefunden und ausgedruckt. Sehen Sie im Büro nach, neben dem Computer.«
    Der Titanschläger verschwand zwischen den anderen in der Tasche. Sevilla strich mit den Fingern über die Köpfe. Einer für weite Schläge, einer für Treffsicherheit, einer für knifflige Stellen. Wenn er nach dem richtigen Schläger griff, musste es instinktiv geschehen, als wäre es ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Madrigal durfte nicht an Juan Villalobos zweifeln.
    »Ich kenne ihn nicht«, sagte Enrique, als er zurückkam.
    »Aber jetzt haben Sie sein Gesicht gesehen. Halten Sie nach ihm Ausschau.«
    »Sie wollen, dass ich Ortíz weiter folge? Was soll das für einen Sinn haben?«
    Im Schlafzimmer war eine Minibar. Sevilla ging hinein und holte sich ein Mineralwasser mit einem Schuss Zitrone. Er spürte, wie Enrique ihn beobachtete, und lächelte in sich hinein, als er der Bar den Rücken zuwandte, ohne dass er den Whisky auch nur angerührt hatte.
    »Wir müssen wissen, was Ortíz treibt. Er ist das Bindeglied zwischen den Madrigals und Kelly und zwischen Kelly und Paloma und Estéban. Das ist Polizeiarbeit, Enrique: beobachten und abwarten. Wenn etwas passiert, dann passiert es bei Ortíz.«
    »Während Sie edel speisen und mit reichen Leuten Golf spielen.«
    Sevilla trank einen Schluck aus dem Glas. Er runzelte die Stirn. »Genau.«
    Wie auf einen stummen Befehl hin gingen sie beide wieder zu den Fenstern und sahen hinunter zum Pool. Einmal dachte Sevilla, er hätte das schrille, vergnügte Quietschen eines Kindes gehört, wusste aber, dass er sich das nur einbildete.

ACHT
    Sevilla mietete bei einer Autovermietung im Hotel einen schwarzen Lexus. Der verfügte über ein im Armaturenbrett eingebautes Navi, das ihn Schritt für Schritt aus dem belebten Hexenkessel Ciudad Juárez hinaus und aufs Land führte.
    An den Rändern von Juárez gab es keine Gegend, die man als schön bezeichnen konnte. Manche Flecken waren grüner als andere, manche wiesen mehr Baumbestand auf als andere, aber in der Hauptsache sah man nur Kakteen, Felsen und die verwachsenen, fremdartigen Mesquitebäume. Nur manchmal explodierte die Landschaft regelrecht zu seltsamer, unerwarteter Blüte mit lila Astern und Sandverbenen, als

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