Die toten Frauen von Juárez
der Sevilla den Kaffee einschenkte und sogar Zucker hineinlöffelte, bis Sevilla abwinkte.
»Das ist mehr als reichlich«, sagte Sevilla.
»Ich bin sehr für ein kräftiges Frühstück«, sagte Madrigal. »Ein kräftiges Frühstück, ein kräftiges Mittagessen und eine Kleinigkeit am Abend. Manche Leute sind ganz auf das Abendessen fixiert. Zu diesen Leuten gehöre ich nicht.«
»Was bevorzugen Sie, Señor Villalobos?«, fragte Sebastián in einem Tonfall, der deutlich zeigte, dass ihn die Antwort kein bisschen interessierte.
Sevilla tunkte Toast in ein frisches Ei, das Arturo gebracht hatte. »Frühstück passt mir gut, danke.«
»Mein Sohn lernt gerade erst die Vorzüge eines guten Frühstücks«, sagte Madrigal. Er warf Sebastián einen Seitenblick zu, der keiner Erklärung bedurfte. Eine eingehendere Begutachtung zeigte Ringe unter den Augen, die der dunklen Bräune wegen nicht so sehr auffielen. Sebastián wandte den Kopf ab.
»So ist das mit den jungen Leuten. Ich erinnere mich an eine Zeit, dakonnte ich die ganze Nacht durcharbeiten und hatte immer noch ausreichend Energie bis zum Mittagessen«, sagte Sevilla. »Heutzutage schätze ich meine Siesta über alles.«
»Eine aussterbende Tradition«, sagte Madrigal.
Sevilla überlegte, ob er Sebastián in ein Gespräch verwickeln sollte, dachte aber, es würde ohnehin nichts nützen. Sebastián sah zum Fenster hinaus auf eine perfekte grüne, quadratische Rasenfläche. Das lange, schmale Rechteck eines Swimmingpools lag in diesem Gartenstück, umgeben von Tischen, Stühlen und Bäumen, die nachmittags Schatten spendeten und die schlimmste Hitze abhielten. Das Gras sah unnatürlich gesund aus, und Sevilla fragte sich, wie viele tausend Pesos erforderlich waren, um diesen Zustand aufrechtzuerhalten.
»Wenn Sie mich entschuldigen würden«, sagte Sebastián unvermittelt. Er warf die Serviette auf den Teller und stand ohne ein weiteres Wort vom Tisch auf. Sevilla blickte ihm nach; als er sich wieder Madrigal zuwandte, drückte die Miene des Mannes Verachtung aus.
»Sie müssen meinem Sohn verzeihen, dass er so ein Dummkopf ist«, sagte Madrigal.
»Ich halte ihn nicht für einen Dummkopf«, beschwichtigte Sevilla. »Er ist …«
»Er ist ein Dummkopf. Wie sagt man so treffend? ›Ein Thronerbe und ein Ersatzmann.‹ Das hatte ich auch, aber mein Thronerbe ist nicht mehr, und mein Ersatzmann enttäuscht mich regelmäßig und vorsätzlich.«
»Vorsätzlich?«
»Ja. Als hätte er nichts Besseres zu tun, als meine Zeit und mein Geld zu verplempern.«
Sevilla war nicht sicher, wie er darauf reagieren sollte. Er konzentrierte sich auf seinen Teller und den Kaffee. Draußen, auf dem Rasen, erzeugte ein Gärtner mit breitem Strohhut und weiter, weißer Uniform mit einer Walze unnatürlich gerade Streifen auf dem Rasen. Die Behandlung hielt vermutlich nicht einmal den ganzen Tag, sah im ersten Moment jedoch erstaunlich aus.
»Haben Sie Kinder, Juan?«
»Nein. Leider waren meine Frau und ich nie damit gesegnet.«
Madrigal machte eine Handbewegung, die wehmütig aussah, als würde er einen Schleier zurückziehen. In der anderen Hand hielt er ein Glas Grapefruitsaft, trank aber nicht daraus. Er betrachtete das Gras, als er fortfuhr, nicht Sevilla. »Gabriel war mein Ältester. Manieren? Seine waren erstklassig. Arbeitsmoral? Er kümmerte sich mehr um die Geschäfte als ich.«
Jetzt richtete Madrigal den Blick auf Sevilla. »Es waren die Drogen. Er arbeitete so hart und nahm sie, damit er länger aufbleiben und noch mehr erledigen konnte. Und dann fraßen sie ihn auf. Als er in die Staaten ging, war er nicht mehr mein Gabriel. Er war jemand anderes. Jemand, den ich nicht kannte.«
»Drogen sind der Untergang von Mexiko«, sagte Sevilla. Die Lust auf das Frühstück war ihm längst vergangen, doch er wusste nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte. Wenn er nichts machte, würde er wie ein Trottel aussehen, daher aß er weiter, als hätte er Appetit für zwei. Er betrachtete das Glas Grapefruitsaft, das in Madrigals Hand reglos über der Tischplatte schwebte. »An der ganzen Grenze entlang. Sie sind für den amerikanischen Markt bestimmt.«
»Amerikaner«, sagte Madrigal. Plötzlich führte er sein Glas zum Mund und trank es in einem Zug leer. Er verzog das Gesicht des bitteren Geschmacks wegen. »Ich will nicht sagen, dass sie nutzlos sind, denn ihre Dollars finanzieren das alles hier, aber manchmal halte ich sie für eine Plage. Einer von Gabriels
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