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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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jeder Meile, die er zwischen sich und Los Campos brachte, nahm seine Nervosität ab. Er öffnete das Fenster und ließ die frische Landluft hereinströmen. Bald würde er wieder in Juárez sein, wo die Luft vielleicht nicht ganz so verpestet war wie in Juan Villalobos’ Mexico City, aber schlimm genug. Noch standen keine geschäftstüchtigen Jugendlichen und Geschäftsleute am Straßenrand und boten den Autofahrern, die im Stau steckten, Atemzüge reinen Sauerstoffs an, doch da die Stadt unablässig wuchs, schienen diese Tage nicht mehr fern zu sein.
    Als er das Hotel Lucerna zwischen den vor ihm liegenden Gebäudenaufragen sah, schien er fast wieder ganz der Alte zu sein. Das Golfspiel war schrecklich gewesen, aber wenigstens hatte er den Unterschied zwischen den einzelnen Schlägern gekannt. Die Runden in dem kühlen Pool hatten ihn belebt, die anschließenden Drinks nicht ausgereicht, den Durst zu stillen, der sich im Lauf mehrerer Tage aufgestaut hatte. Nach dem Mittagessen plagte ihn ein Völlegefühl. Madrigal hatte ihm ein schattiges Plätzchen für ein Nickerchen nach dem Essen angeboten, doch schon da hatte Sevilla nur noch an das luxuriöse Doppelbett in seiner Suite denken können.
    Er gab das Auto zurück, bezahlte den Betrag in bar und kümmerte sich darum, dass jemand die Golfschläger ins Hotel brachte. Er fuhr allein mit dem Fahrstuhl nach oben und betrat einen menschenleeren Flur. Die Tür der Suite verfügte über ein elektronisches Schloss, das er mit der Schlüsselkarte öffnete. Als die Anzeige über der Klinke grün aufleuchtete, trat Sevilla ein.
    Der Mann zerrte ihn durch die Tür, noch ehe sie ganz offen war. Sie knallte gegen die Wand und fiel mit ihren automatischen Scharnieren wieder zurück ins Schloss. Sevilla spürte, wie er den Bodenkontakt verlor. Er stürzte schwer und verspürte heftige Schmerzen im Knie.
    Er griff nach der Waffe, aber sie war nicht da, seit Tagen nicht mehr. Sevilla registrierte benommen zwei Männer, dann trat einer ihm an den Kopf und riss eine klaffende Platzwunde über dem Auge. Er fiel wie tot auf den Rücken. Das Wohnzimmer der Suite wurde hell, dunkel und wieder hell.
    Jemand packte Sevilla am Haar und zog seinen Kopf über den Parkettboden des Eingangsbereichs. Das Bild von Ana und Ofelia wurde ihm ins Gesicht gedrückt. Das Glas war zerbrochen, der Rahmen verbogen. Unter seinem eigenen Blut auf dem Foto sah er, wie Ana ihm zulächelte.
    »Wer ist das, alter Mann? Deine Frau? Dein Kind?«
    »Vermutlich seine Hure«, sagte jemand anderes, worauf Gelächter ertönte. Es waren drei, nicht zwei. Sevilla hörte im Schlafzimmer etwas krachend zerschellen. Sämtliche Möbel im Wohnzimmer waren umgeworfen, die Polsterfüllungen herausgerissen worden. Selbst die Teppiche hatten sie umgedreht.
    »Ich …«, begann Sevilla.
    Der Mann schlug Sevilla das Bild ins Gesicht. Scherben zerschnitten ihm Wange und Lippen. Er bekam Tritte in die Rippen, in den Magen. Das Essen kam ihm wieder hoch. Sevilla sah nur die Füße der Männer, die hin und her gingen; er hatte nicht genügend Kraft, sich die Gesichter anzusehen.
    »Such dir eine andere Familie zum Ausnehmen«, sagte einer der Männer. Er trat auf Sevillas Hand.
    Einer ging. Ein anderer machte sich im Schlafzimmer und im Bad zu schaffen, bis er sie vollkommen verwüstet hatte. Der dritte stand über Sevilla und versetzte ihm jedes Mal, gerade wenn die Schmerzen etwas nachließen, einen neuen Tritt.
    »Bleib liegen, alter Mann«, sagte er, und Sevilla gehorchte.
    Die beiden Verbliebenen beratschlagten sich, aber in Sevillas Ohren piepste es so laut, dass er nichts verstehen konnte. Dann traten sie ihn abwechselnd, bis es keine Stelle an seinem Körper mehr gab, die nicht schmerzte, und er durch den blutroten Vorhang vor dem Gesicht nichts mehr sehen konnte. Er bekam kaum mit, dass sie gingen, und dann bekam er lange Zeit überhaupt nichts mehr mit.

ZEHN
    Er erwachte. »Kelly«, hauchte er. Seine Zähne wackelten, er schmeckte Salz und Kupfer.
    »Ich bin es, Enrique.«
    Sevilla lag auf dem umgedrehten Teppich. Er sah nur die Decke, doch das Licht hatte sich verändert, daher wusste er, dass es Abend sein musste. Sein ganzer Körper pochte, die Nieren taten so sehr weh, dass er wusste, er würde Blut pissen. Enrique strich ihm mit etwas Kaltem, Feuchtem über das Gesicht.
    »Es gibt keinen Alkohol im Arzneischränkchen«, sagte Enrique.
    »Nicht … dem Hotel sagen«, antwortete Sevilla.
    »Habe ich nicht. Sie sind seit

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