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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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Stunden bewusstlos. Ich hätte beinahe den Notarzt gerufen.«
    »Lassen Sie das bleiben.«
    »Was ist passiert?«
    Die Platzwunde über Sevillas Auge war geschwollen, sein Gesichtsfeld auf einen schmalen Schlitz eingeengt. Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Sie waren noch alle da. Als er die Hände anspannte, wusste er, dass seine Arme nicht gebrochen waren, doch im Knie verspürte er unerträgliche Schmerzen. Er müsste aufstehen, um festzustellen, ob er überhaupt noch laufen konnte.
    »Geben Sie mir was zu trinken«, brachte Sevilla heraus.
    Eis klirrte, Whisky gluckerte. Sevilla erkannte den Geruch, noch bevor er ihn kostete. Der Drink brannte heiß und heilsam in Sevillas Magen und erstickte auch die anderen Schmerzen in wohliger Wärme. Er trank noch einen Schluck, dann leerte er das ganze Glas und lutschte den Eiswürfel, bis nichts mehr übrig war.
    Jetzt war er bereit, sich zu erheben. Enrique half Sevilla, sich an die Ruine eines ausgeweideten Sofas zu lehnen. Überall lagen Fetzen und Flusen der Füllung verstreut. Ein Deckenventilator, der sich langsam drehte, wirbelte das ganze Schlamassel durcheinander.
    »Erzählen Sie mir, was passiert ist?«
    »Haben Sie sich die Suite angesehen?«, fragte Sevilla.
    »Ja. Überall dasselbe.«
    »Dann ist es vorbei.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Sevilla wollte die Augen schließen und wieder schlafen. Allein die Anstrengung des Sitzens erschöpfte ihn vollkommen. Aber das Bett war sicher auch verwüstet, und irgendwann würde das Zimmermädchen auftauchen, und alles würde ans Licht kommen. Im Geiste packte Sevilla bereits und plante seinen Rückzug.
    »Das Bild.«
    »Es ist hier«, sagte Enrique. Er drückte es Sevilla in die Hand. Jetzt war es ganz aus dem Rahmen gerissen und blutbefleckt – sein Blut, wie Sevilla wusste. Tränen kündigten sich an. Seine Augen brannten.
    »Mehr Whisky.«
    »Erst, wenn wir uns unterhalten haben.«
    »Gottverdammt, Enrique, was gibt es da noch zu reden? Es ist vorbei. Die wissen es.«
    »Wie können die es wissen? Was ist heute passiert?«
    Sevilla schüttelte den Kopf. Durch die Bewegung schmerzten sein ganzer Nacken und die Schädelbasis. »Ich dachte, ich hätte sie täuschen können, aber offenbar nicht. Es war Sebastián. Er hat dafür gesorgt, dass sein Vater mich beschäftigte, während er …«
    Er winkte mit der Hand in die Suite. Alles war zerbrochen, sogar die Töpfe der Zimmerpflanzen, die Erde verstreut.
    »Wie konnte er es wissen?«
    »Vielleicht habe ich mit der falschen Gabel gegessen«, sagte Sevilla. Er lachte nicht über seinen Witz; Enrique runzelte nur die Stirn. »Verdammt, ich bin ein Idiot.«
    Enrique gab Sevilla die Whiskyflasche. Er schritt durch die verwüsteten Räumlichkeiten, während Sevilla den Rest seiner Schmerzen in Alkohol ertränkte. Draußen ging die Sonne unter. Am Pool spielten bestimmt Mütter und Kinder vor dem Essen in der kühlen Abendbrise. DieFenster waren jedoch so weit entfernt, dass er sich unmöglich hinschleppen konnte.
    »Die können es unmöglich gewusst haben«, sagte Enrique schließlich. »Es ist nichts hier.«
    »Genau«, stimmte Sevilla zu. »Es ist nichts hier. Keine Vorgeschichte, keine Dokumente, gar nichts. Ich dachte, ich könnte sie allein mit Worten überzeugen. Unmöglich. Ich war dumm.«
    »Das war
nicht
dumm«, widersprach Enrique. »Das haben Sie nicht voraussehen können.«
    »Ich wusste, dass ich zu alt für diese Spielchen bin«, sagte Sevilla. »Sie hätten gehen sollen. Jemandem in seinem Alter hätte Sebastián vielleicht eher vertraut. Aber ich dachte … ich weiß nicht, was ich dachte. Dass sie ein Geständnis ablegen würden? ›Ja, ich habe Paloma Salazar töten lassen. Ich gab den Befehl, dass ihr Bruder und ihr Liebster sterben müssen. Ich war es.‹«
    Der Whisky tat seine Wirkung in Sevillas Hirn, sog die Gedanken auf und verdrängte die Sorgen. In gewisser Weise dachte er dennoch klarer als vorher. Sein Körper fühlte sich fast taub an. Wenn er noch mehr trank, würde er bald besinnungslos am Boden liegen. Es kostete ihn alle Willenskraft, die Flasche wegzustellen.
    »Wenn die wussten, dass Sie Polizist sind, warum dann das hier?«
    »Das wussten sie nicht; die hielten mich für einen Hochstapler. In gewisser Hinsicht kann ich mich wohl glücklich schätzen.«
    Sevilla fiel nichts ein, was es sonst noch zu sagen geben könnte, daher blieb er nur sitzen und ließ die Minuten verstreichen. Mit dem Whisky intus fiel es ihm leichter. Wie oft

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